Unsere Anfrage bei den Sozialministerien der Länder hat immerhin bei einigen dazu geführt, sich mit diesem Thema ernsthaft zu befassen. Demnach wäre vorstellbar, dass Hessen und Baden-Württemberg dem Beispiel Bayerns vielleicht sogar noch in diesem Jahr folgen könnten. In anderen Bundesländern reagierte man eher etwas aufgeschreckt, das Thema hatte man so überhaupt nicht auf dem Schirm und sucht nach Rechtfertigungen und Erklärungen. Insgesamt sind 12 Antworten eingegangen, die wir in diesem Beitrag bekanntgeben und kommentieren.
Zu Ihrer Information hier beispielhaft diese Anfrage_nachtdient-bw_05122014
Gefragt wurde:
- Gibt es in Ihrem Land/Stadt konkrete Vereinbarungen für die Besetzung der Nachtdienste in Pflegeheimen? Wenn Ja, welche?
- Mit welcher Besetzung des Nachtdienstes können HeimbewohnerInnen bei Ihnen bestenfalls rechnen? Mit welcher im schlechtesten Falle? Wie sind die Nachtdienste überwiegend besetzt?
- Werden Sie sich für eine Verbesserung des Nachtdienstes einsetzen? Falls Ja, wann ist mit welcher Neuregelung zu rechnen?
Antwort aus Baden-Württemberg: nd-antw-bw
zu Frage 1:
Konkrete Vereinbarungen, die über die Vorschrift der ständigen Anwesenheit einer Pflegefachkraft pro Einrichtung hinaus gehen, gibt es nicht.
zu Frage 2:
Zahlen sind nicht bekannt. Die tatsächliche Nachtdienstbesetzung in BW wurde bisher nicht erfasst.
zu Frage 3:
Verbesserung wird noch für 2015 in Aussicht gestellt. Konkret: „Die Überprüfung des erforderlichen Personalschlüssels und einer ausreichenden Nachtdienstbesetzung unterliegt der zuständigen unteren Aufsichtsbehörde. Nähere und konkretisierte Details zur Personalausstattung für stationäre Einrichtungen sollen mit der für das Jahr 2015 in Planung befindlichen Personalverordnung geregelt werden.“
KOMMENTAR: Wie jedoch sollen Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde (Heimaufsicht), bei denen es sich zumeist um Verwaltungsangestellte handelt, ohne pflegefachliche oder betriebswirtschaftliche Ausbildung, feststellen können, welche Nachtdienstbesetzung ausreicht? Die Heimaufsicht kann doch nur einfordern, was tatsächlich auch vorgeschrieben wurde. Selbst wenn gravierende Mängel in der Nacht angezeigt werden, kann die Heimaufsicht nur mit extremem Aufwand mehr Personal einfordern. Im Baden-Württemberg gab es übrigens einen solchen Fall, siehe Urteil . Demnach müsste davon ausgegangen werden, dass seit diesem Urteil für ganz Baden-Württemberg ein Mindestpersonalschlüssel von 1:50 gilt.
Antwort aus Bayern: Bayern führt Mindestpersonalschlüssel ein.
Offenbar sah sich das Staatsministerium in Bayern, nach der Konfrontation mit den Vorgängen in einer Einrichtung des BRK, direkt in die Pflicht genommen. Ohne die Heimbetreiber um Erlaubnis zu fragen, hat die Ministerin relativ deutliche Fakten geschaffen. Im Namen der hilfebedürftigen Menschen in den Heimen hoffen wir, dass andere Länder diesem Beispiel folgen.
Nach den Vorgängen in der o.g. Einrichtung veranlasste das Ministerium eine Erfassung der Nachtdienstbesetzung. Als sich dabei eine Spannbreite von 1:15 bis 1: 90 herausstellte, sahen sich die pflegepolitisch Verantwortlichen in der Pflicht eine Begrenzung anzuordnen. Demnach gibt es Heime die eine Pflegekraft für 15 Bewohner im Nachtdienst einsetzen, während andere keine Skrupel haben 90 Pflegebedürftige in die Obhut nur einer Nachtwache zu geben. Und dies deshalb, weil es keine Obergrenze gibt, sondern nur die Vorschrift der ständigen Präsenz einer Pflegefachkraft. Ein Großteil der Heime in Bayern erfüllen bereits heute den Schlüssel von 1:40, wie die Untersuchung gezeigt habe. Auch daraus kann ersehen werden, dass es in erster Linie eine Frage der Einstellung ist und nicht der Finanzierung. Nicht zuletzt war es die Feststellung derartiger Unterschiede bei der Besetzung der Nachtdienste in den Einrichtungen Bayerns, die Ministerin Huml veranlasst hat, einen Mindestpersonalschlüssel einzuführen, der bei 1:30 bis maximal 1:40 liegt.
Gegen diese Verfügung verwehren sich ausgerechnet die Vorsitzenden der Landeswohlfahrtsverbände mit einer Argumentation die geradezu zynisch erscheint: Wenn wir nachts mehr Personal einsetzen müssen, dann fehlt uns das tagsüber. Oder mit der Androhung die Pflegesätze deutlich anzuheben. Das Bayerische Fernsehen hat die kontroversen Positionen in „Die Story“ herausgearbeitet. Auch die Regionalpresse hat sich der Streitfrage angenommen. Während wir von gefährlicher Unterbesetzung sprechen, erklärt besagte Einrichtung in Kronach, dass die Einrichtung auch Nachts „hochwertige Pflege“ leiste.
Sehen Sie dazu auch den Beitrag von Gottlob Schober in der ARD, Report Mainz: Riskante Nächte im Pflegeheim.
Antwort aus Berlin: ND-Antw-Berlin_
Zu Frage 1:
„Gesonderte Personalschlüssel für den Nachtdienst sind nicht vereinbart“
Zu Frage 2:
„Ein Personalschlüssel von 1: 50 ist mit den in Berlin vereinbarten Personalschlüsseln leistbar“ ???
Zu Frage 3:
Verbesserungsbedarf wird nicht gesehen: „In den Pflegesatzverhandlungen zwischen den Kostenträgern und den Trägern der stationären Pflegeeinrichtungen ist der Personalbedarf darzustellen. In diesen Verhandlungen wurde bislang von den Einrichtungsträgern kein erhöhter personeller Bedarf ausschließlich für den Nachtdienst geltend gemacht.“
KOMMENTAR: Es ist bekannt, dass Pflegesatzverhandlungen vor allem dem Zweck dienen, die Kosten im Rahmen zu halten. Bezogen auf den Nachtdienst: Wenn beispielsweise ein Heimleiter erklärt, dass er nachts nur eine Nachtwache für 70 Bewohner braucht, dann freuen sich die Vertragspartner. Erklärt hingegen ein Heimleiter, zwei Nachtwachen für 30 Bewohner einzusetzen, weil er die Alleinwache von nur einer Person unverantwortlich findet, dann muss er damit rechnen, dass dieses abgelehnt wird. Fälle, in denen Kostenträger einen erhöhten Personalbedarf gegenüber einem Heim geltend gemacht haben, dürften bei dem vorliegenden System Seltenheitswert haben. Sollte man hier 10 Fälle im gesamten Bundesgebiet finden, wäre das schon mehr als vermutet werden kann.
Antwort aus Brandenburg: ND-Antw.-Brandenburg
Zu Frage 1:
Gesonderte Vereinbarungen gibt es nicht. Brandenburg setzt ebenfalls auf Pflegesatzverhandlung und Heimaufsicht, in der Annahme, dass diese für eine dem tatsächlichen Bedarf gemäße, ausreichende Personalausstattung sorgen.
Zu Frage 2:
Herr Mühe, der das engagierte Antwortschreiben verfasst hat, nimmt an, dass die Nachtdienste in den Heimen Brandenburgs besser besetzt sind als 1: 50. Eine Erhebung hat es bisher nicht gegeben. Seine Annahme, leitet er von einem aktuellen Fall ab, wonach eine heimrechtliche Anordnung zur Mindestbesetzung in der Nacht erging, aus der sich rechnerisch ein Personalschlüssel von 1 zu 27 ergibt.
Zu Frage 3:
Die bestehenden Regelungen sind ausreichend, jedenfalls nach Ansicht von Markus Mühe: „In der Konsequenz sehe ich den Schlüssel des Erfolgs nicht in einer Änderung der heimrechtlichen Grundlagen, sondern in der qualifizierten Umsetzung der bestehenden Regelungen.“
KOMMENTAR: Diese Ansicht teilen wir nicht, zumal sich die Regelungen in Brandenburg von denen anderswo kaum unterscheiden. Auch in Bayern; wie in jedem anderen Bundesland, gibt es Heime die von sich aus oder, weil es sich um Spezialeinrichtungen handelt, einen Schlüssel unterhalb 1:30 erfüllen. Grundsätzlich kann die Heimaufsicht nur das einfordern, was zuvor bestimmt wurde. Sie ist weder qualifiziert noch autorisiert, einen Personalschlüssel festzulegen. Siehe auch Kommentierung an anderen Stellen.
NACHTRAG Nov.2017: Cottbuser Behörde (ehm. Heimaufsicht) hatte einem Pflegeheim in der Lausitz gefährliche Unterbesetzung der Nachtdienste vorgeworfen. Der Betreiber, der das nicht einsehen konnte klagte gegen die Forderung mehr Personal im Nachtdienst einzusetzen. Jedoch auch das Verwaltungsgericht Cottbus entschied, dass ein Pflegekraft für 60 Heimbewohner zu wenig sind, siehe Panoramabeitrag vom 24.11.2017
Antwort aus Hamburg: ND-Antw.-Hamburg
zu Frage 1:
Konkrete Vereinbarungen, die über die Vorschrift der ständigen Anwesenheit einer Pflegefachkraft pro Einrichtung hinaus gehen, gibt es nicht.
zu Frage 2:
Zahlen zur tatsächlichen Nachtdienstbesetzung sind nicht bekannt. Verweis auf das hamburgische Wohn- und Betreuungsqualitätsgesetz sowie den MDK und die Heimaufsicht als Prüfinstanz. Beigefügt wurde der Rahmenvertrag über die vollstationäre Versorgung gem. § 75 SGB XI für die Freie- und Hansestadt Hamburg.
zu Frage 3:
Keine Angabe.
KOMMENTAR: Das kurze Schreiben mit dem Hinweis auf Heimgesetz und Rahmenvertrag, macht deutlich, dass dieses Thema in Hamburg bisher kein Thema ist. Im beigefügten Rahmenvertrag sucht man Angaben zum Nachtdienst vergebens. Dort wird mit dem folgenden Bandwurmsatz geradezu ein Universalanspruch vorangestellt:
(1) “ Die personelle Ausstattung der Pflegeeinrichtungen muss den gesetzlichen Regelungen genügen und eine bedarfsgerechte, gleichmäßige sowie fachlich qualifizierte, dem allgemein anerkannten Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse entsprechende Pflege der Pflegebedürftigen auf der Grundlage der Maßstäbe und Grundsätze für die Qualität und Qualitätssicherung sowie für die Entwicklung eines einrichtungsinternen Qualitätsmanagements nach § 113 SGB XI und den wesentlichen Leistungs- und Qualitätsmerkmalen unter Berücksichtigung des § 84 SGB XI gewährleisten.“
Im weiteren eine Aneinanderreihung von Vereinbarungen, die so allgemein und unverbindlich gehalten sind, dass sie schon deshalb in der Praxis keine Beachtung finden, wie z.B. §18 “ (9) … Beim Einsatz des Personals sind die Risikopotentiale bei den Pflegebedürftigen zu berücksichtigen.“ Genau diese Forderung stellen wir im Zusammenhang mit dem Nachtdienst. Im Moment sind die Risikopotentiale nicht einmal bekannt. Schlimmer noch: Man will gar nicht wissen, welche Gefahren gerade Nachts in den Heimen lauern.
Antwort aus Hessen: ND-Antw.-Hessen
zu Frage 1:
Neben der Vorschrift der ständigen Anwesenheit einer Fachkraft, besteht die Regelung, dass für je angefangene Bewohnerzahl von 50 eine Pflegekraft im Nachtdienst erwartet wird „(z.B. zwei Pflegekräfte bei 70 Bewohnerinnen und Bewohner, wovon eine Pflegekraft und eine Fachkraft sein muss.)“
zu Frage 2:
Zahlen sind nicht bekannt. Die tatsächliche Nachtdienstbesetzung in Hessen wurde bisher nicht erfasst.
zu Frage 3:
Eine Verbesserung wird noch für 2015 in Aussicht gestellt: „Ich werde mich mit Nachdruck dafür einsetzen, dass eine ausreichende Personalbesetzung in den Alten- und Pflegeeinrichtungen von den Einrichtungsbetreibern vorgehalten und gewährleistet wird. Derzeit werden die Bundesverordnungen hier im Hause eingehend auf den Prüfstand gestellt.“, erklärt Hessens Sozialminister Stefan Grüttner . Bis Ende 2015 sind eigene Landesverordnungen geplant.
KOMMENTAR: Somit könnte Hessen das zweite Bundesland werden, dass einen verbindlichen Mindestpersonalschlüssel für den Nachtdienst einführt, der hoffentlich in der von uns geforderten Größe ausfällt.
Antwort aus Niedersachsen: nd-antw-niedersachsen
zu Frage 1:
Konkrete Vereinbarungen gibt es nicht.
zu Frage 2:
Die Festlegung eines Personalschlüssels der sich auf die Anzahl der Bewohner bezieht, hält das Niedersächsische Ministerium für wenig sachgerecht. Zahlen zur tatsächlichen Nachtdienstbesetzung sind nicht bekannt.
zu Frage 3:
Ein Verbesserungsbedarf wird nicht gesehen: „Die Heimaufsichtsbehörden in Niedersachsen prüfen auch zur Nachtzeit, ob die personellen Voraussetzungen erfüllt werden. Da Erkenntnisse über Mängel beim Einsatz von Nachtwachen nicht vorliegen, ist ein etwaiger Änderungsbedarf der bisher praktizierten Vorgehensweise nicht erkennbar.“
KOMMENTAR: Wir gehen davon aus, dass die Vorschrift der ständigen Anwesenheit von mindestens einer Fachkraft in der Nacht durchgehend in jedem Bundesland erfüllt wird. Somit dürfte die Heimaufsicht, falls sie nachts in einem Heim kontrollieren sollte, nirgendwo einen groben Verstoß feststellen. Siehe weitere Kommentare zur Heimaufsicht.
Antwort aus Nordrhein-Westfalen: nd-antw-nrw_
zu Frage 1:
Konkrete Vereinbarungen gibt es nicht. Verweis auf die Pflegesatzverhandlungen und Rahmenverträge, auf deren Beachtung die Landesregierung hinwirken will.
zu Frage 2:
Zahlen zur tatsächlichen Nachtdienstbesetzung sind nicht bekannt. „Die Rechtsprechung des OVG von NRW geht davon aus, dass mindestens eine Pflegefachkraft für jeweils 50 Bew. im Nachtdienst erforderlich ist“: Urteil des OVG
zu Frage 3:
Verbesserungsbedarf wird nicht gesehen. Begründung: „Hier liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Nachtdienste in den nordrheinwestfälischen Pflegeeinrichtungen generell nicht ausreichend besetzt seien. “ Aber immerhin soll sich eine Arbeitsgruppe mit der Frage der ausreichenden Personalbesetzung noch in diesem Jahr befassen.
KOMMENTAR: Insgesamt lässt sich an dieser vergleichsweise ausführlichen Antwort exemplarisch folgendes herausstellen: Ein politischer Handlungsbedarf wird nicht gesehen, weil sich die zuständigen Mitarbeiter der Landesebene auf die Verantwortlichen für die Einhaltung der Rahmenverträge und der Heimkontrolle verlassen. Da diese landauf- landab erklären, es sei genügend Personal vorhanden, meint man anderslautende Meldungen ignorieren zu können. Um das verstehen zu können, muss das Prinzip der Pflegeselbstverwaltung verstanden werden. Defakto verhält es sich so: Wer bei der Pflegesatzverhandlung mehr Nachtwachen durchsetzen will, als es Einrichtungen gleicher Größe für notwendig halten, muss einen aufwändigen Nachweis erbringen.
Außerdem gilt es zu bedenken: Sowohl die Kommunen als auch die Kassen befinden sich in einer widersinnigen Dreifachfunktion. Erstens sehen sie sich verpflichtet die Ausgaben der Sozialkasse/Pflegeversicherung so gering wie möglich zu halten. Zweitens sollen sie festlegen, wieviel Personal notwendig ist und vorgehalten werden muss. Und drittens, haben sie alleine die Kontrollhohheit. Politisch gewollt wurde auf diese Weise der sprichwörtliche Bock zum Gärtner gemacht. Man hat nicht nur ein System geschaffen, bei dem sich die Strategen, juristisch gesehen, schlank aus der Verantwortung ziehen können. Und die Pflegefachkräfte, die in den unzureichend besetzten Nachtdiensten versuchen den Bewohnern halbwegs gerecht zu werden, haben leider noch nicht verstanden, dass sie es sind, die oft alleine in Haftung genommen werden.
Allen, die noch nicht verstanden haben, dass wir hier keine Luxusbetreuung für nachts fordern, sondern lediglich einen Sicherheitsstandard, der das Risiko für Bewohner und Mitarbeiter auf ein vertretbares Maß verringert, sei dieser Beitrag über die Verantwortung empfohlen.
Michael Hoverath vom WDR hat die Haltung in diesem Bundesland aufgegriffen, sehen Sie hier seinen Beitrag vom 03.05.2015 auf Westpol: Nächtliche Pflege
Antwort aus Rheinland-Pfalz: nd-antw-rlp
zu Frage 1:
Konkrete Vereinbarungen gibt es nicht. Verweis auf die Durchführungsverordnung des LWTG (Landes Wohn- und Teilhabegesetz) mit sehr allgemein gehaltenen Angaben.
zu Frage 2:
Zahlen zur tatsächlichen Nachtdienstbesetzung sind nicht bekannt.
zu Frage 3:
Ein Verbesserungsbedarf wird nicht angenommen. Wie in den meisten anderen Bundesländern verweisen die Verantwortlichen in RLP auf die Funktion der Heimaufsicht (BP-LWTG).
KOMMENTAR: Woran will eine Prüfbehörde festmachen, wann zuwenig und wann genug Personal eingesetzt wird? Ohne verbindliche Vorgaben, deren Einhaltung überprüfbar sind, können die Prüfer bestenfalls aus dem Bauch heraus erkennen, ob das Personal reicht. Wie uns Mitglieder aus RLP berichtet haben, gilt als ungeschriebenen Obergrenze eine Besetzung von 1:70 in der Nacht. Erst bei mehr als 70 Bewohnern müsse eine zweite Nachtwache eingesetzt werden.
Bei der von Herrn Scholten angegebenen Vorschrift der ständigen Anwesenheit einer Pflegekraft in (geschlossenen) beschützenden Bereichen, in denen Bewohner mit richterlicher Genehmigung untergebracht sind, handelt es sich um eine allgemeine Vorschrift bundesweiter Gültigkeit.
Antwort aus dem Saarland: nd-antw-saarland
zu Frage 1:
Konkrete Vereinbarungen gibt es nicht.
zu Frage 2:
Zahlen zur tatsächlichen Nachtdienstbesetzung sind nicht bekannt. Mehrfach wird auf die Vorschrift der ständigen Anwesenheit einer Fachkraft hingewiesen. Ansonsten geht man auch im Saarland davon aus, dass die Heimaufsicht aus eigenem Ermessen für genügend Personal in der Nacht sorgt.
zu Frage 3:
Voller Überzeugung auch aus dem Saarland der Hinweis: „Die in unserem Haus angesiedelte Heimaufsicht sorgt im Rahmen ihrer Beratungs- und Überwachungsaufgaben in Einzelfällen, dass die Nachtdienste so eingesetzt werden, dass sie die zu leistenden pflegerische Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner sicherstellen können.“
KOMMENTAR: Wenn dem so wäre, müssten alle Heime im Saarland wenigstens eine Nachtwache pro Etage bzw. für 30 Bewohner einsetzen. Denn nach den uns vorliegenden Erfahrungen von Pflegefachkräften, ist mit dieser Besetzung die geforderte sichere Versorgung zu leisten. Auch einzelne unruhige Bewohner können dann vielleicht noch durch menschliche Begleitung beruhigt werden. Anderenfalls bleibt den Nachtwachen kaum eine Wahl, als sogleich zum Medikamentenschrank zu laufen und die chemische Keule einzusetzen. Bei den Mitarbeitern der Heimaufsicht handelt es sich selten um Pflegefachkräfte. Wie will jemand, der selbst weder vom Fach ist noch je im Nachtdienst einer Einrichtung Verantwortung tragen musste, Art, Umfang und Qualität der pflegerischen Versorgung beurteilen können?
Interessant an dieser Antwort ist die Bezeichnung „Vergütungsverhandlungen“. Im Saarland lässt man keinen Zweifel daran, dass es bei den – anderenorts als Pflegesatzverhandlungen – benannten Verhandlungen im wesentlichen ums Geld geht. Wie das Bayerische Sozialministerin beweist, hat die Landesregierung sehr wohl Einwirkmöglichkeiten.
Antwort aus Sachsen: nd-antw-sachsen
zu Frage 1:
Besonderheit im Vergleich zu anderen: Vorgeschrieben ist pro Gebäude mindestens eine Pflegefachkraft. Konkrete Vereinbarungen darüber hinaus gibt es nicht.
zu Frage 2:
Zahlen zur tatsächlichen Nachtdienstbesetzung sind nicht bekannt. Auch Sachsen verweist auf die Rolle der Heimaufsicht. Demnach kann diese nach eigenem Ermessen anordnen, mehr als eine Fachkraft pro Gebäude im Nachtdienst einzusetzen.
zu Frage 3:
Sachsen verzeichnet einen Rückgang der Beschwerden und sieht darum keinen Verbesserungsbedarf.
KOMMENTAR: Tatsächlich hat es aus Sachsen in den letzten Jahren wenig Missstandsmeldungen gegeben. Aus den jüngeren Berichten von Mitarbeitern oder Angehörigen, lässt sich auf Verbesserungen schließen. Jedoch, wenn die Politik keinen Verbesserungsbedarf sieht, weil sie sich bereits damit begnügt, dass die Beschwerden zurückgegangen sind, dann besteht die Gefahr das Erreichte bald wieder zu verlieren.
Antwort aus Thüringen : nd-antw-thueringen
zu Frage 1:
Konkrete Vereinbarungen gibt es nicht. Verweis auf die üblichen Regelungen.
zu Frage 2:
Genaue Zahlen zur tatsächlichen Nachtdienstbesetzung sind nicht bekannt.
zu Frage 3:
In Thüringen will man sich weiter mit dem Thema befassen, nicht zuletzt aus Gründen der Imageaufwertung und um Personal halten zu können.
KOMMENTAR: Die Antwort aus Thüringen zeigt großes persönliches Engagement, Ehrlichkeit und Sachkompetenz. Heike Werner, die neue Sozialministerin, gibt z.B. offen zu verstehen: “ Jedoch wird ein Orientierungswert von 1:50 bis 1:60 angenommen. Diese Orientierungszahl ist in den letzten 20 Jahren relativ konstant geblieben, während die Betreuungszahl stetig gestiegen ist und auch weiterhin steigen wird. Aufgrund der Zunahme des Pflege- und Betreuungsbedarfs ist davon auszugehen, dass auch die nächtliche Personalbesetzung bei dem hier angenommen Orientierungssatz einer kritischen Überprüfung bedarf.“
Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein haben nicht geantwortet.
Das Schleswig-Holstein nicht geantwortet hat, könnte mit diesem Fall zusammenhängen, bei dem es auch um den Nachtdienst und die Haltung der Heimaufsicht sowie die Rahmenverträge geht.
Zusammenfassendes Ergebnis der Befragung:
Durchgehend gilt in allen Bundesländern als Mindestanforderung die ständige Anwesenheit einer Pflegefachkraft pro Einrichtung, unabhängig von der Anzahl der Bewohner. In Sachsen gilt diese Vorschrift pro Gebäude. Ab Juli 2015 führt Bayern als erstes Bundesland einen Mindestpersonalschlüssel ein, der sich an der Bewohnerzahl und weiteren Kriterien orientiert.
Neben der zwingenden Vorschrift, der ständigen Anweseheit einer Pflegefachkraft, orientiert man sich in einige Bundesländern an Richtgrößen. Konkret wurde als Obergrenze 1: 50 nur in NRW angegeben. Darüber hinaus wird auf die Verhandlung mit den Kostenträgern hingewiesen. Es wird angenommen, dass bei diesen Pflegesatzverhandlungen der tatsächliche Bedarf, die Bewohnerstruktur (Pflege-Stufen, Demenz-Grade etc.) sowie baulichen Gegebenheiten maßgebend sind.
Die Realität ist eine ganz andere. Tatsächlich verhält es sich so, dass HeimleiterInnen die ernsthaft bemüht sind ein Maximum an Personal mit den Kostenträgern auszuhandeln, darlegen müssen, warum sie mehr Personal brauchen, als der Durchschnitt der Heime ihrer Region. Bei den Pflegesatzverhandlungen werden die Heime systematisch gedeckelt. Diese Verhandlungen dienen keinem anderen Zweck, als die Kosten im Rahmen zu halten. Es zeugt von völliger Unkenntnis, zu behaupten, dass der tatsächliche Bedarf individuell festgestellt würde. Wenn beispielsweise ein Heimleiter erklärt, dass er nachts nur eine Nachtwache für 70 Bewohner braucht, dann freuen sich die Vertragspartner. Erklärt hingegen ein Heimleiter, zwei Nachtwachen für 30 Bewohner einzusetzen, weil er die Alleinwache von nur einer Person unverantwortlich findet, so muss er damit rechnen, dass dieses abgelehnt wird.
Fast alle Ministerien erklären sinngemäß: „Die Überprüfung des erforderlichen Personalschlüssels und einer ausreichenden Nachtdienstbesetzung unterliegt der zuständigen Aufsichtsbehörde.“ Wie jedoch sollen Mitarbeiter der Aufsichtsbehörde (Heimaufsicht), bei denen es sich zumeist um Verwaltungsangestellte handelt, ohne pflegefachliche oder betriebswirtschaftliche Ausbildung, feststellen können, welche Nachtdienstbesetzung ausreicht? Die Heimaufsicht kann doch nur einfordern, was tatsächlich auch vorgeschrieben wurde. Selbst wenn gravierende Mängel in der Nacht angezeigt werden, kann die Heimaufsicht nur mit extremem Aufwand mehr Personal einfordern. Im Baden-Württemberg gab es einen solchen Fall: Gerichtsurteil vom VG Sigmaringen in 2007 . In diesem Streit hatte sich ein Heimträger gegen die Auffassung der Heimaufsicht zur Wehr gesetzt, die eine bessere Nachtdienstbesetzung gefordert hatte. Vorausgegangen waren Hinweise auf Gefahren und Mängel. Dieses Verfahren wie auch die Urteilsbegründung sind lesenswert, da daraus ersichtlich wird, warum die Heimaufsichten in der Regel nichts unternehmen und auch nachts keine Kontrollen durchführen, weil sie derartige Rechtsstreitereien befürchten müssen.
Der rechtlicher Rahmen ist im Prinzip überall gleich. In allen länderbezogenen Heimgesetzen, siehe Beispiel WTPG: Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz, findet man diese Forderung: „ Eine stationäre Einrichtung darf nur betrieben werden, wenn der Träger sicherstellt, dass die Zahl der Beschäftigten und ihre persönliche und fachliche Eignung für die von ihnen zu leistende Tätigkeit ausreicht.“ Dieses genau muss jedoch in Frage gestellt werden. Vor allem im Nachtdienst reicht das üblicherweise eingesetzte Personal nicht! Eine Pflegekraft im Nachtdienst mag in der Lage sein 20 pflegebedürftige, demente Menschen individuell angemessen zu betreuen. Bei 30 Bewohnern jeden im Blick zu behalten und außerdem noch Zeit für Sterbende oder Bewohner zu finden, die nicht schlafen können, dürfte schon nur mit Abstrichen möglich sein. Wer vierzig demente, pflegebedürfigte nachts zu betreuen hat, muss sich das schon sehr gut einteilen, damit er niemanden übersieht und wenigstends die zwingend notwendigen Maßnahmen erledigt. Auch diese Besetzung zwingt bereits dazu, unruhige Bewohner die nicht mehr schlafen können, medikamentös daran zu hindern, nachts herumzulaufen. Darüber hinaus setzen Heime ihre Bewohner Nacht für Nacht einer lebensgefährlichen Situation aus.
Seit der Pflege-SHV den Nachtdienst in deutschen Pflegeheimen zum Brennpunkthema erklärt hat, melden sich fast täglich Studierende in der Pflege- oder Sozialwissenschaft, die das Thema in einer Arbeit aufgreifen wollen, was jedoch daran scheitert, dass bislang nicht eine einzige Untersuchung vorliegt. Das Ergebnis unsere Anfragen bei den Bundesländern mündet ebenso in der Feststellung: Wir kennen zwar keine Zahlen und Daten zur Nachtbesetzung, gehen jedoch davon aus, dass genügend Nachtwachen eingesetzt werden.
Hallo ich bin selber im Nachtdienst tätig und finde es unverantwortlich nur 1schwester einzusetzen. Wenn mir was passiert, wer kümmert sich um die Heim Bewohner? Jeder der meint 1schwester reicht, sollte mal Nacht machen. Lg
Es ist gut, dass Sie die Besetzung der Nachtdienste in Alten- und Pflegeheime so konsequent zum Thema gemacht haben. Richtig und wichtig ist es, dass endlich ein Mindestpersonalschlüssel für die Nachtdienste verbindlich festgelegt wird, mit dem klargestellt wird, für wie viele Bewohner/innen eine Pflegekraft tatsächlich in der Nacht anwesend sein muss. Hier hat glücklicher Weise das Land Bayern – faktisch bundesweite – Maßstäbe gesetzt. Genauso wichtig wäre es aber auch, dabei ebenfalls festzulegen, wie viele davon Pflegefachkräfte sein müssen. Lediglich in Baden-Württemberg gibt es hierzu eine Verwaltungsvorschrift des dortigen Sozialministeriums, das die Anwesenheit von einer Pflegefachkraft auf 50 Bewohner/innen festlegt. Dies hat das Verwaltungsgericht in Sigmaringen am 31.01.2007 für den Fall bestätigt, dass die Mehrheit der Bewohner/innen in der Pflegebedürftigkeitsstufe 2 oder 3 eingestuft sind. Damit sind im Land BW ebenfalls faktisch bundesweite Maßstäbe gesetzt worden. Damit soll sach- und fachgerecht auf Notfälle in der Nacht reagiert werden können. Denn von eine Pflegefachkraft kann eher erwartet werden, dass sie einen medizinischen oder psychiatrischen Notfall rechtzeitig erkennt und sofort die erforderlichen Maßnahmen einleitet. Ich möchte nicht wissen, wie viel Schaden schon durch Unwissenheit und Unkenntnis angerichtet worden ist, weil z.B. Krankheits- oder Krisensymptome durch dafür nicht qualifiziertes Personal übersehen oder falsch interpretiert worden sind oder mit Maßnahmen reagiert worden ist, die in dem entsprechenden Fall kontraindiziert waren. Die Gewerkschaft ver.di hat dies inzwischen auch in NRW zum Thema gemacht. Ihnen und der Gewerkschaft sei Dank.
Es ist schon erschreckend und beunruhigend, wenn man die jeweiligen Stellungnahmen zur Befragung liest. Man gewinnt den Eindruck, dass das Thema für viele Verantwortliche „untergordnet“ ist und man sich auf die zuständigen Heimaufsichten verlässt und sich damit „entlasten“ will. Diese wiederum können eigentlich nur nach vorgegebenen Richtlinien/Gesetzen, wie allgemein und schwammig diese auch gehalten sein mögen, deren Einhaltung überprüfen.
Vielen Dank, dass Sie hart am Thema bleiben und öffentliches (und amtliches) Bewusstsein schärfen. Anfängliche Ergebnisse und ernst zu nehmende Absichtserklärungen sind ja erste Erfolge.
Im Blick sollten immer und bei allen Verantwortlichen die zu betreuenden Menschen stehen, unabhängig von rein wirtschaftlichen Überlegungen, die leider qauch eine Rolle spielen.