Reaktionen auf den Hilferuf einer Nachtwache

So darf es nicht weiter gehen!

„Bisher waren wir im Nachtdienst zu viert, jetzt sollen wir noch einen neuen Bereich mit übernehmen und das Ganze mit nur drei Kräften bewältigen.  Das ist unmöglich zu schaffen. Was können wir tun?“,  so ein Hilferuf von Anfang Dezember 2013.  Mit meiner Unterstützung wurde diese  Erklärung verfasst, die alle sieben Pflegekräfte  des Nachtdienstes am selben Abend unterzeichneten.  Dennoch waren weitere Interventionen notwendig, um die Beibehaltung der alten Besetzung über Weihnachten und Neujahr erreichen zu können.  Anfang Januar hat das Beratungsbüro Kämmer, das dem Heim die Einsparung einer Nachtwache empfohlen hat, erneut dargelegt, dass drei Nachtwachen ausreichen um die rund 155 Bewohner, verteilt auf zwei Häuser und vier Etagen,  des Nachts sicher zu versorgen.  Seit dem 16. Januar sind die Nachtdienste nur noch mit 3 Personen besetzt. Selbst der Landesgeschäftsfüher des Bayerischen Rotes Kreuzes, Leonard Stärk, der sich persönlich  eingeschaltet hat, konnte die Argumente von Kreisgeschäftsführung und Heimleitung  nicht entkräften.  Diese hatten sogar noch einen weiteren Gutachter beauftragt, der ebenfalls zu dem Ergebnis kam, dass die neue Nachtwachenregelung alle Erfordernisse erfülle.

Herr Stärk, Landesgeschäftsführer des BRK, hat diese Maßnahme wie folgt begründet:  „Weil wir uns aber noch einmal abgesichert haben im Interesse von Bewohnern und Mitarbeiter, haben neben der Beratung durch Frau Kämmer noch ein weiteres Gutachten von Herrn Vetter eingeholt, der uns am 19.1.2014 noch einmal klar und deutlich versichert hat, dass das QM in dieser Einrichtung, insbesondere die Prozessgestaltung und die Ablaufgestaltung, vollständig dem neuen Expertenstandard entspricht und keinesfalls von einer „gefährlichen Unterbesetzung der Nachtdienste“ gesprochen werden kann. Wir haben es uns weder im KV ……. noch innerhalb der Expertenrunde des BRK, die heute getagt hat, leicht gemacht, aber wir können hier kein Defizit erkennen – außer natürlich, dass man alles noch besser, aufwändiger und intensiver machen kann, auch die Personalbesetzung natürlich.   […]  Jedem Beteiligten ist klar: Was in der Nachtbesetzung, wenn die allermeisten Bewohner schlafen, an Personalstärke vorgehalten wird, fehlt in der Tagbesetzung. „

Hinter dieser  „Personaloptimierung“ steht die Beratungsgesellschaft Karla Kämmer.

Durch einen Anruf von Frau Kämmer erfuhr ich kurz vor Weihnachten 2013, dass ihr Büro der Einrichtung diese Personaleinsparung  empfohlen hatte sowie  mit  der Vorbereitung und Begleitung beauftragt war.  Wenige Minuten nachdem ich mit dem kommissarischen Heimleiter die Vereinbarung getroffen hatte,  über Weihnachten und bis zur Klärung im neuen Jahr, die alte Besetzung mit vier Nachtwachen beizubehalten, rief sie mich an, um mich mit dem zuständigen Berater, Friedhelm Rink, zu verbinden.  Allen ernstes versuchte dieser mir zu erklären, dass nach seinen Erfahrungen und Begutachtung  der Einrichtung, 3 Nachtwachen in dem Haus ausreichen.  Alles andere wäre Luxus, den sich Einrichtungen im Wettbewerb mit anderen nicht leisten können.   Vor allem diese Haltung haben wir zum Anlass genommen, die Situation im Nachtdienst zum Schwerpunktthema zu machen und derartigem Betreiben Einhalt zu gebieten.   Im Januar versuchte mich Frau Kämmer mit diesem Schreiben> nachtdienst_k-kaemmer_13012014 von der Korrektheit der Vorgehensweise zu überzeugen.  Meine Reaktion darauf erfahren Sie hier:brk-nd_kaemmer-1-14

Auch ohne selbst in diesem Heim gewesen zu sein, auch ohne mit einer Stoppuhr und einem Kilometerzähler die Aktivitäten der Nachtwachen  erfasst zu haben, lässt sich für jeden nachvollziehbar ausrechnen, dass bei dieser Besetzung  bestenfalls  4 Minuten  Zeit für den einzelnen Bewohner bleiben, siehe: Gefahrenpotenziale_Nachtdienstbesetzung

Früher war ein solcher Schlüssel vielleicht noch vertretbar, als die Bewohner  überwiegend orientiert und ohne körperliche Gebrechen, selten einmal Hilfe brauchten. Heute geht das nur deshalb, weil es üblich wurde, unruhige Bewohner medikamentös so einzustellen, dass sie  ruhig in ihren Betten liegen bleiben.  Reicht die Dosis  nicht, gibt es  einen Nachschlag (Bedarfsmedizin genannt).  Angesichts der fatalen Nebenwirkungen dieser Ruhigsteller  muss man  von systemischer Gewalt, Körperverletzung und Missachtung der Menschenrechte sprechen. Nur weil die Bewohner medikamentös auf die Abläufe des Heimes eingestellt werden, bricht  nicht jede Nacht das Chaos aus.    Weil das übliche Praxis ist, fehlt es den dafür  Verantwortlichen an  Unrechtsbewusstsein.  Angehörige/Betreuer  erfahren nicht einmal, welche Medikamente eingesetzt werden, geschweige denn, dass sie über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt würden.

Bemerkenswert die Reaktion des zuständigen Landratsamtes

Am 13. Dezember informierte ich die „Heimaufsicht“ mit dieser E-Mail: brk-kronach_heimaufsicht_140311, Daraufhin fand am 28. Januar, also gut 6 Wochen später, ein anlassbezogener Besuch der Einrichtung statt.  Von einer Überprüfung kann keine Rede sein. Denn wie aus dem uns vorliegenden Bericht vom 31.Januar hervorgeht, haben die Gutachter sämtliche Angaben der Heimleitung ohne jede Prüfung übernommen.   Im Ergebnis fand diese Behörde nicht einen Punkt der beanstandent werden konnte.  Auf diese Weise bekam die Einrichtung grünes Licht auf der gesamten Linie.  „Alles richtig gemacht. Alles Bestens. Wenn ihr das sagt, glauben wir euch, dass drei Nachtwachen ausreichen, um alle 155 Bewohner  sicher und gut zu versorgen.“, so der Aussagegehalt dieses unglaublichen Berichtes.  Gemeinsam mit den beiden Nachtwachen, Frau B. und Herr P, habe ich diese Richtigstellung verfasst: heimaufsicht_brk140313-anonymisiert Unsere Rückmeldung an die Heimaufsicht  wurde außerdem der Regierung Oberfranken und der bayerischen Sozialministerin Huml zur Kenntnis gegeben.  Am 4. April erhielt ich daraufhin die Einladung zu einer Art Schlichtungsgespräch ???  in der Einrichtung: brk-nd-reg_oberfranken-0414-2
Dieser Vorgang, mag er auch ein Spezifikum in Oberfranken darstellen,  zeigt, wie die Mühlen häufig malen.  Auch aus anderen Regionen Deutschlands sind uns ähnliche Muster bekannt.  Darum wollen wir  nicht ein einzelnes Heim an den Pranger stellen, sondern die dahinter stehende Haltung. Denn diese ist landauf, landab der Grund warum es kein lautes Aufbegehren gibt angesichts der üblichen Personalunterbesetzung in den Nachtdiensten deutscher Pflegeheime.

Was unternimmt das zuständige Staatsministerium ?

Mit  diesem Schreiben  ND_BRK-Heim_Bayr.Staatsministerium  wurde der Vorgang dem  zuständigen Staatsministerium gemeldet. Eine schriftliche Antwort steht noch aus.   Claus Fussek, der in diesem Falle involviert ist, hat einige Gespräche geführt und erfahren, dass seitens des Ministerium Bemühungen im Gange seien.   Am 26. März  fand  eine telefonische Erörterung mit dem ltd. Ministerialrat, Dr. Bernhard Opolony, statt. Dieser erklärte mir, dass  die Verbesserung des Stellenschlüssel im Nachtdienst ein Thema sei.  Auf welchen Mindesstandard man sich einigen wird, konnte er noch nicht absehen.

Wir hoffen sehr, dass diese Veröffentlichung sowie weitere Berichte in Fernsehen und Presse  unserem Anliegen den nötigen Nachdruck verleiht.

Adelheid von Stösser, 31.August 2014


22.Januar 2015:  Bayern reagiert und legt als erstes Bundesland einen Nachtwachenschlüssel fest, der unseren Forderungen nahe kommt.

März 2015:  Inzwischen ist das Geheimnis gelüftet. Bei der Einrichtung handelt es sich um das BRK-Seniorenhaus in Kronach. Die Regionalpresse hat ausführlich berichtet. Während wir von  gefährlicher Unterbesetzung sprechen, bescheinigen Heimbetreiber und Personalrat ihrem Haus „hochwertige Pflege.

Fernsehsendungen:

Bayerische Fernsehen:  „Die Story“  Nachts im Pflegeheim    

Report Mainz hat das Thema ebenfalls aufgegriffen:  Riskante Nächte im Pflegeheim
Februar 2016:  Die Neue Presse Kronach berichtet. NP KC (27.02.2016) – Neuregelung…
Kommentar: Während die Mehrzahl der Einrichtungen in Bayern  bereits Ende 2015 den von der Landesregierung vorgegeben Nachtdienstschlüssel von 1: 30 umsetzen, setzt ausgerechnet das Heim, welches Ministerin Huml zu diesem Eingriff in das Hohheitsrecht der Pflegeselbstverwaltung veranlasst hatte, den Nachtdienst erst im Januar auf 1:40 um.  Da diese absolute Obergrenze nur mit Zustimmung der Heimaufsicht  (FQM) möglich ist, und alleine die baulichen Voraussetzungen im BRK Heim für eine Besetzung von 1:30 sprechen, muss davon ausgegangen werden, dass das Prüforgan nach wie vor  die Interessen des Heimbetreibers vertritt, selbst wenn hierdurch die Sicherheit  schutzbedürftiger Bewohner  gefährdet wird.   Träger und Leitung dieses Heimes haben in 2015 einiges unternommen, ihr angeschlagenes Image aufzupolieren. Ihr  neuerliches Feilchen um die schlechtestmögliche Besetzung der Nachtdienste, beweist hingegen, dass die Sicherheit der Bewohner  eine nachrangige Rolle spielt.

3 Kommentare

  1. Ich arbeite als Dauernachtwache in einem Seniorenheim mit 110-120 Bewohnern. Auch bei uns sind die Nachtdienste gefährlich, für alle. Hinzu kommt, dass in den Heimen zunehmend Suchtkranke und psychisch sehr auffällige und aggressive Bewohner aufgenommen werden. Am Besten sollte man gleich bei der Bewerbung um eine Nachtwachenstelle fragen, wieviele Bewohner zu betreuen sind und für sich selbst dann eine Grenze ziehen. Es ist überhaupt eine Unverschämtheit, dass es keine verbindlichen Pflegeschlüssel in der Altenpflege gibt. Ich betrachte die Personalpolitik als Verbrechen. Alle die dafür verantwortlich sind, müssten wegen unterlassener Hilfeleistung belangt werden.

  2. Hallo Cindy,

    eine Fachkraft für 180 Bewohner??? – Weiß diese Fachkraft eigentlich wo sie rechtlich steht? Ist ihr überhaupt bewusst, was sie den zu betreuenden Bewohnern zumutet? Kann sie ihren Beruf ohne Gewissensbisse ausüben? Wie kann sie diese Verantwortung „freiwillig“ übernehmen?
    Wenn es weiterhin solche „lammfrommen“ Menschen in der Pflege gibt, die sich der Ungeheuerlichkeit dessen was sie tun nicht bewusst werden, leisten wir für die zu betreuenden Bewohner/innen einen „BÄRENDIENST!“.
    Solange es Pflegende gibt die NICHT AUFSTEHEN gegen derartige Machenschaften, solange haben sowohl Heimbetreiber als auch Politiker ein leichtes Spiel derartige Menschen-unwürdige Praktiken zu focussieren!

  3. Ich arbeite in einem Altenheim mit 180 Bewohnern und wir arbeiten auch nur noch zu dritt und dann auch noch mit nur einer Fachkraft. Das ist genauso unzumutbar und die Heimleitung lässt natürlich nicht mit sich reden. Es wird Zeit dass sich etwas ändert.

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