Anfang dieser Woche erreichte uns die Nachricht vom nächtlichen Brand in einem Offenbacher Seniorenheim, bei dem ein Bewohner bis zur Unkenntlichkeit verbrannt war, 10 weitere mit schweren Rauchvergiftungen in Kliniken verbracht und andere medizinisch vor Ort behandelt werden mussten. Ich hörte davon im Autoradio und stellte mir spontan die Frage, was denn noch passieren muss, bevor Konsequenzen gezogen werden.
2018 scheint besonders brandgefährlich. Seit Januar hat es bereits 6mal während der Nachtdienstzeiten in deutschen Pflegeheimen gebrannt. 2017 mussten deutsche Feuerwehren und Rettungsdienste 14mal ausrücken. Wobei nur die Einsätze gezählt sind, die sich laut Pressmeldung im Internet, in die Abend-, Nacht- und frühen Morgenstunden einordnen lassen und bei denen es zu größeren Schäden kam. Brandmeldungen während der Tageszeiten (9.00 bis 18.00 Uhr) gab es nicht nur deutlich weniger, diese konnten oft von Mitarbeitern, Besuchern oder einem „wachen“ Bewohner selbst gelöscht werden, bevor die Feuerwehr im Heim eintraf.
Wie auf dieser Seite an mehreren Stellen dargelegt, birgt der Nachtdienst für Heimbewohner in vieler Hinsicht erhebliche Risiken. Während tagsüber neben den Pflegekräften auch anderes Personal, Angehörige, Ehrenamtler etc. vor Ort sind, die bei Gefahr frühzeitig reagieren können, sind auch die Bewohner selbst aufmerksamer. Zumindest solche, die sich melden und bewegen können. Nach dem Abendessen erhalten die meisten Bewohner ihre Nachtmedikation, damit sie ins Bett gebracht werden können und möglichst durchschlafen. Anders wäre der Nachtdienst mit der üblichen (Unter)Besetzung nicht zu bewerkstelligen. Manche liegen sogar „fixiert in ihrem Gitterbett“ oder sind stark bewegungseingeschränkt, weshalb sie sich selbst nicht in Sicherheit bringen könnten.
Ohne Einzelheiten im Offenbacher Seniorenheim zu kennen, drängen sich dem Insider aus Erfahrung verschiedene Szenarien auf. Angefangen bei menschlichem Versagen, Einsatz von Personal, dass die Brandschutzbestimmungen oder die Örtlichkeiten nicht kennt, oder aus Gründen der Arbeitserleichterung und einer Haltung: „Es wird schon nichts passieren. Hauptsache wir kommen irgendwie um die Runden.“ Möglicherweise gab es zunächst Anweisung seitens des Heimbetreibers, der Domicil GmbH, den Namen der Einrichtung nicht zu nennen. Auffallend war außerdem, dass in fast allen Medien vom Feuer in den frühen Morgenstunden berichtet wurde, vielleicht um von der Mitverantwortung für eine völlig unzureichende Nachtdienstbesetzung als Hauptursache abzulenken. Laut MDK Bericht verfügt das mit der Note 1,0 bewertete, Domicil Seniorenpflegeheim in Offenbach (Hessen) über 146 Pflegeplätze. Da es in Hessen keine Vorgabe für eine Mindestbesetzung des Nachtdienstes gibt, kann es durchaus sein, dass dort nicht einmal 3 Pflegekräfte fürs gesamte Haus eingeplant werden. Möglicherweise ist auch kurzfristig eine Nachtwache ausgefallen, weshalb in der Nacht zum Montag nur 2 Personen auf den weiten Fluren, über bis zu 5 Etagen unterwegs waren. Oder es waren in jener Nacht Aushilfskräfte im Dienst, die weder Bewohner noch Räumlichkeiten kannten, geschweige denn die Brandschutzbestimmungen. Vielleicht hatte der Nachtdienst aber auch nur – um schneller und geräuschloser von einem Gebäudebereich zum anderen zu kommen, Brandschutztüren offen gelassen, weshalb sich Feuer und Rauch über die Flure ausbreiten konnten. Manchmal werden auch Zimmertüren von Bewohnern offen gelassen, um im Vorbeilaufen rasch reinschauen zu können. Unstrittig ist, dass bei der nächtlichen Personalbesetzung, Wohnbereiche regelmäßig über lange Zeiträume ohne Personal sind.
Hohe Standards in der Brandschutztechnik treffen auch unzureichende Personalstandards in den Einrichtungen.
Die moderne Brandmeldetechnik sieht vor, dass bei Rauchentwicklung in einem Raum, automatisch Alarm bei der Feuerwehr eingeht. In Regionen in denen die Freuerwache rund um die Uhr besetzt ist und Berufsfeuerwehrleute rasch ins Löschfahrzeug springen können, besteht eine bessere Chance, Brandentwicklungen wie im Offenbacher Seniorenheim zu verhindern. Im Unterschied zum Rettungsdienst, muss die Feuerwehr nicht erst an der Eingangstür läuten und warten, bis jemand aufsperrt. Sie hat über das Brandschutzsystem Zugang zu allen Schlüsseln bzw. dem Generalschlüssel mit dem sämtliche Türen geöffnet werden können. Außerdem kann ein geschulter Feuerwehrmann auf einen Blick erkennen, welche Räume betroffen sind.
Idealerweise verfügt jede/r Mitarbeiter/in im Nachtdienst über ein funktionsfähiges, mobiles Alarm- und Kommunikationsgerät, für die Kitteltasche (Home-Handy), als Bestandteil eines in der Einrichtung installierten Messaging-Systems. Klingelt ein Patient/Bewohner kann die Pflegekraft sehen, aus welchem Zimmer (evt. sogar mit Angabe des Namens) der Ruf kommt. Je nach System kann sie darüber sogar mit dem Hilfesuchenden sprechen oder Nachrichten schicken, wie: „Ich bin unterwegs zu Ihnen Frau …“. Da in Altenpflegeheimen die wenigsten Bewohner jedoch in der Lage sind, ihren Hilfebedarf durch Klingeln anzukündigen, profitieren davon nur die geistig orientierten Bewohner. Bei Bewohnern mit Demenz besteht die Möglichkeit, per Geräuchsmelder oder Bewegungsmelder wie elektronische Fußmatten, automatisch eine Meldung aufs „Home-Handy“ der Pflegenden zu schicken. Diese müssen dann entscheiden, ob sie alles stehen und liegen lassen, um auf die betreffende Etage zum betreffenden Bewohner zu eilen, oder erst einmal ihre Arbeit zu Ende bringen. Über das Home-Handy, können die Pflegekräfte auch miteinander sprechen oder einen Notruf an die Kollegen senden. Gibt ein Brandmelder irgendwo im Heim Alarm, geht dieser nicht nur automatisch bei der Feuerwache ein, sondern auch bei den mit einem entsprechend eingerichteten Home-Handy ausgestatteten Nachtwachen, welche irgendwo innerhalb des Gebäudes unterwegs sind. Womöglich ist in dem Moment ausgerechnet die Pflegefachkraft mit einer Brandschutzschulung am weitesten entfernt oder gerade bei einem Bewohner dem es schlecht geht, den sie in einer Notlage nicht alleine lassen will. So kann es sein, dass eine ungeschulte Pflegekraft, die, weil sie am nächsten daran ist, zum Brandort läuft, wo sie eine Situation vorfindet, die sie womöglich in der Aufregung noch verschlimmert.
Es ist davon auszugehen, dass ein modernes Heim, wie das Domicil in Offenbach, über entsprechende Feuermelde- und Notrufsysteme verfügt. Aber was nützt die beste Technik in der Hand von Personen, die sich damit nicht auskennen? Oder was nützt es einen Alarm zu registrieren aber nicht zu wissen, was dann der Reihe nach zu tun ist? Nicht selten werden in den Nachtdiensten Aushilfskräfte von Zeitarbeitsfirmen eingesetzt, die weder die Räumlichkeiten, noch die Bewohner noch die Rufanlage der Einrichtung kennen. Außerdem funktionieren auch Home-Handys nur, wenn sie aufgeladen sind. Da es sich bei diesen um Arbeitsgeräte handelt, die auch vom Tagdienst benutzt werden, kann es sein, dass diese Stundeweise nachts auf der Ladestation stehen. Vorstellbar ist außerdem, dass der Alarm tonlos gestellt wird. Bei nervigen Bewohnern, die häufig klingeln, wird nicht selten die Klingel weggehängt, oder Rufe von bestimmten Bewohnern werden ungeprüft nach kurzer Zeit weggedrückt. Letzteres hat den Vorteil, bei Beschwerden über stundenlanges Warten müssen, an Hand der Meldedaten zeigen zu können, dass auf den Ruf umgehend reagiert wurde.
Tatsächlich hilft die Dokumentationstechnik der Einrichtung darzulegen, dass das Personal ausreicht, um alle Bewohner individuell versorgen zu können. Nicht nur in Punkto zeitgemäße Reaktion auf Patientenrufe, sondern auch bei der Dokumentation der Pflegemaßnahmen. So gibt es Doku-Software, die es Pflegekräften (mit Zugangscode) erlaubt, alle geplanten Maßnahmen, mit einem einzigen Klick, bei allen Bewohnern als durchgeführt zu bestätigen. Wir sprechen hier von systematischem Betrug, andere nennen diese übliche Praxis „Entbürokratisierung“.
Mit anderen Worten: Speziell in der stationären Altenpflege hat Fehlervertuschung System. Auf dem Papier erscheint alles in bester Ordnung, was sich tatsächlich abgespielt hat, interessiert nicht. Prüfbehörden und Staatsanwaltschaft geben sich allzu leicht mit den Aufzeichnungen zufrieden. Es würde uns sehr wundern, wenn in diesem Falle die eigentlich Schuldigen an der Katastrophe zur Rechenschaft gezogen würden.
Was nützt die Installation moderner, teurer Brandschutzmaßnahmen, solange in Punkto menschliche Hilfe keine Sicherheit eingeplant werden muss? Sollten sich die Brände in den Seniorenheimen wie in den letzten Monaten mehren, dürften es wohl demnächst Brandschutzversicherungen sein, die Heimbetreibern einen Mindestpersonalschlüssel im Nachtdienst vorschreiben.
Altenheimbrände während der Nachtdienste seit Mai 2017:
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