Vertuschen was nicht sein darf

Pflegekräfte die Zeugen von Ereignissen werden, durch die ihr Arbeitgeber in große Schwierigkeiten kommen würde, wenn diese ans Licht kämen, geraten zwangsläufig in Konflikt.  Auf der einen Seite steht das Verschwiegenheitsgebot, welches sie in der Regel mit dem Arbeitsvertrag unterschreiben.  Auf der anderen das schlechte Gewissen oder auch das Wissen darum, dass das  Vertuschen einer Straftat  ebenfalls strafbar ist. Die nachfolgenden Fälle sprechen für sich.

Bewohnerin um 5 Uhr mit dem Gesicht im Kissen gefunden.
Die ehemalige Pflegefachkraft einer  Einrichtung der AWO in Thüringen, schreibt (August 2014):   „Seit geraumer Zeit suchen auch eine ehemalige Kollegin und ich einen Weg die uns bekannten Missstände anzuzeigen. Beide wären wir bereit dazu auszusagen. Leider liegen diese Fälle schon eine Weile (2012) zurück. Meine Kollegin befand sich aufgrund des enormen Druckes, den man auf sie ausgeübt hat längere Zeit in psychologischer und ärztlicher Behandlung, und hatte lange nicht die Kraft über das Erlebte zu sprechen. Dabei geht es um eine Bewohnerin, die sie im Frühdienst  gegen 5 Uhr mit dem Gesicht im Kissen tod aufgefunden hat. Sofort hat sie  die zuständige Fachkraft  (stv. Pflegedienstleitung) informiert. Diese Bewohnerin konnte sich aus eigener Kraft nicht bewegen; der Grund für das Ersticken mit dem Kopf nach unten, kann nur gemutmaßt werden. Als ich gegen halb 6 hinzukam zum Dienst waren Nachtwache und stv.Pflegedienstleitung bereits hecktisch und völlig lieblos dabei, die Spuren des qualvollen Todes bei der Bewohnerin zu  beseitigt. Da aus allen Körperöffnungen Blut getreten war, musste die Frau komplett gewaschen werden, Bett neu bezogen etc., bevor der diensthabende Arzt eintraf. Für mich waren das völlig schockierende Bilder, die ich bis heute nicht vergessen habe. Normalerweise war es meine Aufgabe als Schichtleitung mit dem Arzt die Leichenschau durchzuführen, was an diesem Tag jedoch die Pflegedienstleitung  und ihre Stellvertreterin übernahmen. Das Zimmer durfte währenddessen von mir nicht betreten werden. Die Todesursache wurde auf ein schlichtes Herzversagen geschrieben. Meine Kollegin bekam zu dieser Sache absolutes Redeverbot. Natürlich wollte man dem Ruf des Hauses mit einem derartigen Vorfall nicht schaden.“

Bewohnerin nach Sturz mit Oberschenkelhalsbruch sieben Stunden ohne Schmerzmittel gelassen
Ein weitere Fall aus dem o.g. AWO-Heim in Thüringen:   „Eine Bewohnerin war Nachts so schwer gestürzt, dass sie sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzog. Schon ohne Röntgenaufnahme konnte jeder sehen, dass etwas gebrochen sein musste, außerdem klagte die Bewohnerin über starke Schmerzen.  Die Nachtwache (Einzelnachtwache bei 64 Bewohnern) hatte  die stv.Pflegedienstleiterin benachrichtig, die ihr geholfen hat, die Bewohnerin ins Bett zu tragen und dieser  ansonsten  erklärt habe:  „Die Arbeit kann auch der Frühdienst morgen machen“. Diese Frau musste von 3 Uhr Nachts  bis ca 9 Uhr Vormittags mit heftigen Schmerzen im Bett verbringen, bevor sie ins Krankenhaus gebracht wurde.   Diese Sache wurde von uns als Betriebsrat thematisiert, und eine Klärung seitens der Geschäftsleitung verlangt. Auch in diesem Fall stellte sich die Geschäftsleitung gegen uns, und versuchte den Vorfall zu vertuschen. Da auch ich in meiner Zeit in dieser Einrichtung des öfteren Zeuge war, dass Dokumente verschwinden oder gefälscht werden, habe ich die Dokumentation aus dieser Nacht fotografiert. Die Protokolle und Bilder können jederzeit von mir vorgelegt werden.“

Anonymes Fehlermelde-Portal: „Aus kritischen Ereignissen lernen“ 
Auf der Seite des KDA  „Aus kritischen Ereignissen lernen“,  findet man eine Reihe von Selbstanzeigen. Da diese jedoch vollständig anonym bleiben, müssen sich die Verantwortlichen nicht angesprochen fühlen.  Im Grunde werden dort reale Tatbestände schwerer Körperverletzung, fahrlässiger Tötung, unterlassener Hilfeleistung u.a.m.  beschrieben, die zur Anzeige gebracht werden müssten.  Stattdessen werden diese fein säuberlich sortiert und abgelegt, als ginge es um Missgeschicke die nun einmal im Pflegealltag vorkommen.  Genau genommen handelt es sich hier um eine staatlich geförderte Möglichkeit der Vertuschung von Ereignissen in der Pflege, für die in anderen Bereichen Personen wegen unterlassener Hilfeleistung, Strafvereitelung oder gar schwerer Körperverletzung mit Todesfolge, zur Verantwortung gezogen werden.  Lesen Sie, was Nachtwachen dort berichten:  https://www.kritische-ereignisse.de/berichte/kategorie/45.html

Wer Überlastungsanzeigen schreibt wird ausgelacht 
Mail einer Altenpflegerin vom Juli 2014:  “ Ich arbeite auf 450 Euro Basis in einem Altersheim in Bayern, überwiegend Nachtdienst oder wo es gerade brennt.   62 Bewohner sind zu betreuen. Ich soll 3 Durchgänge Nachts machen, was alleine fast nicht möglich ist, aber sicher nicht möglich ist, wenn man die Arbeit ordentlich machen möchte.  Im Dan Touch (Bezeichnung eines bestimmten Dokusystems) soll ich Dinge abzeichnen, die Keiner macht. Es ist immer ein Betrug, wenn man dies alles abzeichnet und als erledigt, das “o.K” tippt.  Es gibt eh zu 75 % nur ausländisches, kaum deutsch sprechendes Personal, und wenn man da nachfragt: „Was macht denn ihr mit den Einträgen?“, dann heißt es , zeichne ab wie Alle anderen auch. Klar könnte ich einfach kündigen, als mich 10 Stunden abzuhetzen, dann nur 9 Stunden bezahlt bekommen (12,50 Euro /Std), da geht man leichter als Putzfrau schwarz arbeiten. Aber ich wollte mich in der Altenpflege engagieren, und stoße restlos an meine psychischen und physischen Grenzen. Habe heute wieder eine Überlastungsanzeige geschrieben und erhalte nur Spott und Hohn.
Wie viele Bewohner darf man denn vom Gesetzgeber betreuen, gibt es da auch eine Zahl , wie im Krankenhaus?  (Intensiv, nicht mehr als 2 Beatmungen, Intermediär   nicht mehr als 4 Patienten, Station nicht mehr als 32…) Warum gibt es denn eigentlich keine Möglichkeit / Forum um Altersheime als Bewohner, Angehörige…. zu bewerten, wie ich es bei Ärzten, Krankenhäuser.. schon lange machen kann. “

 

 

1 Kommentar

  1. VERTUSCHEN WAS NICHT SEIN DARF – genau das ist der Punkt, wo wir als Pflegekräfte unser Gewissen mobilisieren MÜSSEN!
    Zuvorderst müssen wir uns unsere Mitschuld an derartigen Ereignissen vor Augen halten die durch unser SCHWEIGEN begründet ist.
    Dann halten wir uns die ANGST der Bewohner/innen vor Augen, die durch diese Situationen entsteht, und abschließend vergegenwärtigen wir uns die STRAFBARKEIT dieses Tuns!

    SCHWEIGEN — ANGST — STRAFBARKEIT!!!

    Reicht das nicht aus um UMZUDENKEN, um diese Straftaten nicht weiterhin zu decken?
    Wollen wir wirklich solange an diesem Tun beteiligt sein, bis man uns zur Rechenschaft zieht?
    Glauben wir wirklich, dann steht „irgend jemand“ hinter uns und nimmt die Schuld (es handelt sich schließlich um Straftaten, wie unterlassene Hilfeleistung oder fahrlässiger Körperverletzung) auf sich? Weit gefehlt, dann werden wir alleine dafür zur Verantwortung gezogen werden und müssen dann auch begründen, warum wir jetzt behaupten (was wir mit Sicherheit behaupten werden), bei dieser Besetzung wären derartige Situationen vorprogrammiert gewesen. Und wir werden uns die Frage gefallen lassen müssen:

    WARUM HABEN SIE – WENN SIE DAS WISSEN – NICHT SCHON VORHER ETWAS DAGEGEN UNTERNOMMEN?

    Und dann kann es uns nur noch helfen, wenn wir schon im Vorfeld Überlastungsanzeigen geschrieben haben!

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