Heimgesetze mit fraglicher Wirkung

Bis zur Förderalismusreform 2006  waren die Bedingungen für den Betrieb stationärer Pflegeeinrichtungen im Heimgesetz (HeimG) auf Bundesebene festgelegt.  Inzwischen haben alle 16 Bundesländer eigene Bestimmungen erlassen, die sich im Wesentlichen jedoch an den Vorgaben des HeimG orientieren.  Ausführliche Informationen zu Heim-Gesetzen und Bestimmungen von Bund und Ländern  finden Sie  auf der Seite der BIVA .    Auffällig ist, dass es relativ detailierte Vorschriften für die bauliche Ausstattung, Brandschutz und andere Sicherheitsvorkehrungen gibt, hingegen  sich die  Angaben zum Personalbedarf in folgender Aussage erschöpfen: „Der Betreiber eines Heim muss sicherstellen, dass die Zahl der Beschäftigten und deren persönliche und fachliche Eignung für die zu leistende Tätigkeit ausreicht.“ 

Einige Länder haben sogar ein ausführliches  Anforderungsprofil für Heim- und Pflegedienstleitung  beschrieben.  In fast allen Landesheimgesetzen  finden sich   Angaben zur Fachkraftquote und den Aufgaben, die Pflegefachkräften vorbehalten sind.  Wer jedoch in diesen – zum Teil umfangreichen – Gesetzen und Verordnungen,  Angaben  zur Anzahl der Mitarbeiter sucht, findet allenfalls  den Verweis auf die Pflegequalitätsvereinbarung § 80 SGB XI und den Rahmenvertrag gemäß  § 75 SGB XI (siehe Beispiel NRW).  Aber auch in diesen Vereinbarungen sucht man Angaben zum Personalschlüssel vergeblich.  Denn die Personalausstattung ist Verhandlungssache zwischen den Kosten- und Leistungsträgern.  Diese Pflegesatz-Verhandlungen dienen  landauf, landab vor allem der Kostendeckelung: So wenig Personal/-kosten wie möglich. Orientierungsmaßstab für die Nachtdienstbesetzung sind stets Einrichtungen,  die bei gleicher Größe weniger Personal einsetzen.  Wenn beispielsweise  Heime  mit 100 Plätzen im Schnitt zwei Nachtwachen kalkulieren, dann muss sich jeder Heimbetreiber, der drei Nachtwachen für notwendig hält, bereits rechtfertigen: “Die anderen Heime schaffen das mit zwei Nachtwachen, warum benötigt ihr drei?”  Bei  diesen Verhandlungen geht es nicht um Qualität sondern  darum, die Pflegesätze möglichst gering zu halten.  Weder seitens der Heimträger, noch der Kassen, noch kommunaler Kostenträger ist ein Interesse an einer ausreichenden Personalbesetzung zu erkennen.  Siehe dazu auch unsere Ausführungen im Beitrag: Unmenschliche Pflegepersonalpolitik.

Darum muss die Personalausstattung in den Heimen ein zentrales Thema der Politik werden.  Wie es eine  Heimmindestbauverordnung gibt, müsste es eine Personalmindestverordnung geben, für die sichere Pflege – auch in der Nacht – Maßstab sein muss.

Heimgesetze schützen Heimbetreiber und Kostenträger  vor den Anforderungen der Bewohner

Anspruch und Wirklichkeit der Bundes- und Landesheimgesetze, einschließlich weiterer Verordnungen,  klaffen weit auseinander.  Sie definieren,  in Bezug auf die eigentliche Funktion und die Anforderungen an Pflege und Versorgung, reine  Wunschvorstellungen.  Exemplarisch soll hier der betreffende Paragraph aus dem Niedersächsischen Heimgesetz, aufgezeigt werden, welches in diesem Punkte dem Wortlaut des HeimG auf Bundesebene entspricht.

Anforderungen an den Betrieb eines Heims (§ 5, NHeimG) 

(1) Der Betreiber eines Heims ist verpflichtet, seine Leistungen nach dem jeweils allgemein anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse zu erbringen, sein Leistungsangebot, aufgeschlüsselt nach Art, Menge und Entgelt, allen Interessierten zugänglich zu machen und die Bewohnerinnen und Bewohner bei Einzug in das Heim über ihren Beratungsanspruch nach § 3 Nr. 1 und ihre Beschwerdemöglichkeiten bei der Heimaufsichtsbehörde sowie den Pflegekassen und den Trägern der Sozialhilfe zu informieren.

(2) Ein Heim darf nur betrieben werden, wenn in ihm

  1. die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner geachtet und vor Beeinträchtigungen geschützt werden,
  2. den Bewohnerinnen und Bewohnern eine nach Art und Umfang ihrer Betreuungsbedürftigkeit angemessene Lebensgestaltung ermöglicht wird sowie die erforderlichen Hilfen gewährt werden,die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung sowie die Teilhabe der Bewohnerinnen und Bewohner am Leben in der Gemeinschaft gewahrt und gefördert werden, insbesondere bei behinderten Menschen die sozialpädagogische Betreuung und heilpädagogische Förderung sowie bei Pflegebedürftigen eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde gewährleistet werden,
  3. eine dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse entsprechende Qualität des Wohnens, der hauswirtschaftlichen Versorgung, der Verpflegung und der Betreuung der Bewohnerinnen und Bewohner sowie deren ärztliche und gesundheitliche Betreuung gesichert sind,
  4. für pflegebedürftige Bewohnerinnen und Bewohner die Pflege nach dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse gewährleistet ist,
  5. sichergestellt wird, dass die Eingliederung behinderter volljähriger Bewohnerinnen und Bewohner gefördert wird, dass für diese Bewohnerinnen und Bewohner Förder- und Hilfepläne aufgestellt werden und dass deren Umsetzung aufgezeichnet wird,
  6. sichergestellt wird, dass für pflegebedürftige volljährige Bewohnerinnen und Bewohner Pflegeplanungen vorgenommen werden und deren Umsetzung aufgezeichnet wird,
  7. der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner vor Infektionen gewährleistet und außerdem sichergestellt wird, dass von den Beschäftigten die Anforderungen an die Hygiene eingehalten werden,
  8. sichergestellt wird, dass die Arzneimittel bewohnerbezogen und ordnungsgemäß aufbewahrt und die in der Pflege und die in der Förderung behinderter volljähriger Menschen tätigen Mitarbeiterinnen und
  9. Mitarbeiter mindestens einmal im Jahr über den sachgerechten Umgang mit Arzneimitteln beraten werden, und
  10. sichergestellt wird, dass es unter der Verantwortung einer Heimleitung betrieben wird.

(3) Der Betreiber eines Heims muss

1. die für den Betrieb eines Heims erforderliche Zuverlässigkeit besitzen,

2. sicherstellen, dass die Zahl der Beschäftigten und deren persönliche und fachliche Eignung für die zu leistende Tätigkeit ausreicht,

3. ein Qualitäts- und Beschwerdemanagement betreiben.

Solche allgemeinen Bestimmungen sind das Papier nicht Wert auf dem sie stehen.  Wie wir alle wissen, reicht das Personal weder im Tag- noch im Nachtdienst, um  den individuellen Bedürfnissen der Bewohner entsprechen zu können.  In (2) 1-10  werden mithin Anforderungen definiert, die unter den personalen Rahmenbedingungen nicht erfüllbar sind.  Das wissen nicht nur die Heimbetreiber, sondern auch die im Land und Bund zuständigen Politiker.  Im Grunde fängt hier bereits der Betrug und die Augenwischerei an, die in den Pflegenoten ihren Fortgang findet.    Die Kluft zwischen SOLL-Vorschrift und IST-Leistung ist riesig und sie wächst mit jedem Tag.  Ein solcher Gesetzestext entspricht unserem Wunschdenken.  In der Realität wird hingegen nachts durchschnittlich nur eine Pflegekraft  für  50 kranke, alte,  schutzbefohlene Bewohnern eingesetzt.  Tagsüber  muss  eine Pflegekraft 12,5 Bewohner versorgen.  Da ist Abfertigung im Fließbandstil die Regel, um wenigstens den Standard Satt und Sauber erfüllen zu können.

Charta-UnterstuetzenDass die Verantwortlichen sehr wohl wissen, nur mit höherem Personaleinsatz den Grundrechten der Bewohner gerecht werden zu können,  wurde mir 2005, als Mitglied des Runden-Tisches-Pflege, vor Augen geführt.  Als die in unserer Arbeitsgruppe entworfene  Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen,  im großen Plemum vorgestellt wurde, erklärten Vorsitzende von Wohlfahrtsverbänden und freien Trägern einstimmig,  dass  diese Rechte unter den Rahmenbedingungen nicht erfüllt werden können.  Konkret: „Wenn diese Charta rechtsverbindlich werden sollte, brauchten wir viel mehr Personal.“  Eine Verteuerung der Pflege kam wiederum für die politisch Verantwortlichen nicht in Betracht. Im Ergebnis wurde der  Charta keine Verbindlichkeit eingeräumt. Wer will, kann sich an diesem Papier orientieren. Kein Landesheimgesetz hat die Pflege-Charta zum Maßstab genommen.  Vielleicht auch aus Angst, bei den Überprüfungen regelmäßig zu viele Unzulänglichkeiten festzustellen.  Der Verzicht auf konkrete, von Heimaufsicht und MDK überprüfbaren Vorgaben, führt dazu, dass die menschlich gravierenden Rechtsverletzungen nicht Gegenstand von Heimkontrollen sind.  Denn diese konzentrieren sich erfahrungsgemäß auf  Bereiche mit klaren Vorgaben, wie z.B. den vorgeschriebenen Haltegriffen in Fluren.  Wird hingegen die Heimaufsicht auf  Mängel in der Versorgung hingewiesen, verlaufen die Überprüfungen in der Regel ergebnislos.  Schlimmer noch. Bei uns melden sich regelmäßig Angehörige, die Hausverbot erhalten haben,  weil sie beobachtete Mängel an die Heimaufsicht meldeten.  Die Heimüberwachung ist in der Tat ein zweischneidiges Schwert.  Das hängt auch mit der Interessenskollision zusammen.  Heimaufsichten, die den Kommunen unterstellt sind, sind in erster Linie gehalten, den „guten Ruf“ der Heime in der Region zu schützen.   Es fehlt also nicht nur an überprüfbaren Qualitätsvorgaben, wie sie in der  Charta definiert wurden, sondern außerdem  an unabhängigen Kontrollorganen.

Auch das 2008 eingeführte  Pflegetransparenzgesetz , bezieht sich nicht auf die in der Pflege-Charta definierten Ansprüche pflegebedürftiger Menschen.  Es ist allgemein bekannt, dass die Prüfkriterien und Verfahren eher eine Verschleierung von Mängeln unterstützen.

Im Ergebnis muss festgestellt werden:
Unsere  Heimgesetze und Verordnungen, die eigentlich zum Schutze der Bewohner gedacht sind, schützen im Beschwerdefalle eher die Heime vor den Ansprüchen von Bewohnern.

 

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