Zur Rolle des Heimbeirates

In Deutschland ist die Interessenvertretung von pflegebedürftigen Menschen in Pflegeheimen und alternativen Wohnformen in sogenannten Durchführungsverordnungen der Heimgesetze der jeweiligen Bundesländer geregelt. Bis 2006 gab es ein bundesweit einheitliches Heimgesetz und entsprechende Verordnungen. Da einige Bundesländer noch keine eigenen Verordnungen geschaffen haben, gelten solange noch die vorherigen (Bundes-)Verordnungen, so auch die Heimmitwirkungsverordnung (HeimmwV).

Darin geregelt ist die Mitwirkung (aber leider keine Mitbestimmung) der Bewohnerinnen und Bewohner in Angelegenheiten des Heimbetriebes –. In dieser HeimmwV sind u.a. die Form und Funktion des Heimbeirates, also der Interessenvertreter der Bewohner, beschrieben. So kann sich im Beschwerdefall ein Bewohner oder dessen legitimierter Vertreter auch direkt an die Mitglieder des gewählten Heimbeirates wenden, um sich über Vorkommnisse zu beschweren. Dazu ein Fall, der mir vor einiger Zeit berichtet wurde und außerdem zu unserem Nachtdienstthema passt:

Eine jüngere Heimbewohnerin mit Demenz erzählt ihrer Schwester/Betreuerin wiederholt, dass abends immer ein Mann in ihr Zimmer käme. Sie habe Angst vor dem Mann und will das nicht. Bei den Besuchen der Schwester, zeigt sie sogar mit dem Finger auf diesen Heimbewohner, der ein Zimmer auf ihrem Flur bewohnt. Da der Schwester/Betreuerin diese Angabe glaubwürdig erscheint, wendet sie sich zunächst an die Wohnbereichsleiterin. Diese hört zum ersten Mal von dem Verdacht und will das auch nicht so recht glauben, schließlich ist die Bewohnerin dement. Auch die Heimleiterin, an die sie sich als nächstes wendet, versucht ihr lediglich zu erklären, dass derartige Wahnvorstellungen bei Demenzkranken keine Seltenheit sind. Zufällig trifft die Schwester/Betreuerin während ihres Besuches kurz darauf, eine Bewohnerin, die im Heimbeirat ist. Sie erkannte diese, von dem Foto auf einer Bildtafel im Eingang, auf der die Mitglieder des Heimbeirates vorgestellt werden. Also spricht sie die Frau/Heimbeirätin an und schildert ihr das Problem. Diese verspricht, sich umzuhören bzw. dem nachzugehen. Tatsächlich konnte schon drei Tage später der Beweis vorgebracht werden. Die Heimbeirätin hatte nämlich gemeinsam mit einer Mitbewohnerin eine heimliche Beobachtung des Flurbereichs unternommen, während bestimmter Zeiten am Spätabend, die hier am ehesten in Frage kamen, da die Nachtwache dann auf anderen Etagen unterwegs war. Und siehe da, schon drei Tage später, wurde die Heimbeirätin Zeuge, wie dieser Bewohner in das Zimmer der verängstigten Frau schlich. Sofort ist sie dem Mann hinterher und hat ihn zur Rede gestellt. Selbstverständlich hat sie diesen Vorfall gemeldet. Seit dieser Zeit wurde mit der Betreuerin und Bewohnerin vereinbart, dass ihr Zimmer abgeschlossen werden soll/darf.

In diesem Falle hat der Heimbeirat, pragmatisch und couragiert gehandelt. Als geistig orientierte und an den Vorgängen und Menschen im Heim interessierte Bewohnerin, konnte sich diese Beirätin einiges zusammenreimen. Im Unterschied zu der Heimleitung und anderen Angestellten, die oft geschäftig an den Bewohnern vorbei laufen, hatte sie schon länger Auffälligkeiten im Verhalten des Mannes und seines Opfer beobachtet, darum glaubte sie den Angaben, nur beweisen musste man das noch.

Idealerweise setzt sich der gewählte Beirat eines Heimes, aus Personen zusammen, die sich aktiv zum Wohle aller in der Einrichtung einbringen wollen und dazu auch (noch) die Kraft und persönlichen Fähigkeiten haben. Die Realität sieht häufig anders aus. Denn wer heute in ein Alten-und Pflegeheim geht, hat in der Regel selbst bereits einen erheblichen Hilfebedarf. Und wer auf Hilfe anderer angewiesen ist, befindet sich in einer Abhängigkeitssituation, die er spätestens dann zu spüren bekommt, wenn er Kritik an denen übt, von denen er Hilfe erwartet. Alte Rebellen, die als Bewohner ein Heim aufmischen, findet man wohl hauptsächlich in Filmen. Die Mehrzahl, auch der Mitglieder die in den Heimbeirat gewählt werden, verhält sich angepasst. Darum sollten nach Möglichkeit auch wenigstens 1-2 Angehörige/unabhängige Personen in den Heimbeirat gewählt werden, die nicht im Heim leben, jedoch wissen worauf zu achten ist. Der Bremer Reinhard Leopold hatte sich, als Betreuer seines Vaters, für diese Aufgabe zur Verfügung gestellt. Seitdem beschäftigt er sich fast täglich mit Fragen rund um die Pflege- und Betreuung in unseren Heimen, nachzulesen im Internet auf www.heimmitwirkung.de

Im Folgenden beantwortet Reinhard Leopold Fragen zur Rolle des Heimbeirates allgemein und mit Schwerpunkt Nachtdienst:

A.v.Stösser: Herr Leopold, wenn Sie das Eingangsbeispiel sehen, wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass der Heimbeirat in ähnlichen Fällen aktiv wird? Ist das überhaupt Aufgabe des Heimbeirates? Was raten Sie Angehörigen, die mit einer Beschwerde auf dem Dienstweg (WBL, PDL, HL) nicht weiterkommen?

R.Leopold: Sich als HeimbewohnerIn zu beschweren ist schon eine riesige Hürde, wegen der Abhängigkeit, in der sich die Menschen befinden. Pflegebedürftige Menschen haben oftmals einfach Angst etwas Negatives zu äußern oder werden schlicht nicht ernst genommen. Solch nächtliche Vorkommnisse mitzubekommen und zu verfolgen, stellt schon eine besondere Herausforderung dar.
Das Durchschnittsalter, mit dem Menschen in ein Heim gehen, ist 83 Jahre und älter. Hinzu kommt ein Pflegebedarf von mindestens der Pflegestufe 1. Der Gesetzgeber hat es sicherlich gut gemeint, wenn er die Selbstbestimmung und Selbstvertretung der Menschen im Gesetz vorgesehen hat. Leider sind dabei vier wesentliche Fakten offenbar nicht ausreichend beachtet worden:
1) das hohe Alter, 2) die Pflegebedürftigkeit, 3) die Abhägigkeit und 4) der Generationens- und Genderfaktor.
Mit letzerem meine ich, dass die Menschen, die jetzt in Heimen sind, noch oft zur Kriegsgeneration gehören. Diese Generation hat vornehmlich gelernt zu gehorchen, nicht aber eigene Interessen zu vertreten – das betrifft insbesondere die Frauen. Und Frauen haben eine durchschnittlich höhere Lebenserwartung als Männer, weshalb es einen „Frauenüberschuss“ in Heimen gibt. FAZIT: Eine effektive Interessen-Selbstvertretung von Heimbewohnern ist eher selten möglich.

Das hat der Gesetzgeber erkannt und 2002 die Möglichkeit geschaffen, dass externe Personen (Angehörige, Freunde oder andere Vertrauenspersonen) in Heimbeiräte hineingewählt werden können. Und wenn es keinen gewählten Heimbeirat gibt, sind andere Interessenvertretungsorgane vorgesehen, wie z.B. sogenannte Bewohner-Fürsprecher (werden von der Heimaufsichtsbehörde benannt).

Die Aufgaben von Heimbeiräten und Bewohnerfürsprechern sind im Grunde identisch.

Die Bewohnerinnen und Bewohner eines Heims wirken mit, durch eine Bewohnervertretung in Angelegenheiten des Heimbetriebs, wie Unterkunft, Verpflegung, Aufenthaltsbedingungen, Betreuung oder Freizeitgestaltung sowie damit verbundene Entgeltverhandlungen. Die Bewohnervertretung kann bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und Rechte fach- oder sachkundige Personen ihres Vertrauens hinzuziehen. Bezogen auf den geschilderten Fall muss sich eine Bewohnervertretung selbstverständlich um solche Vorkommnisse kümmern.

Oftmals haben auch Angehörige Angst vor Repressalien, die ihren Liebsten im Heim wiederfahren können. Die Angst ist zwar nicht unbegründet, jedoch gibt es gute Möglichkeiten, sich erfolgreich durchzusetzen. Angehörigen rate ich grundsätzlich:

  1. Führen Sie ein „Besuchs-Tagebuch“, in dem alles Wahrgenommene und Besprochene notiert wird – möglichst mit Datum, Uhrzeit und evtl. Zeugen.
  1. Treffen Sie Vereinbarungen mit dem Heim grundsätzlich nur schriftlich, nie nur mündlich.
  1. Schließen Sie sich mit anderen Angehörigen zu einer UNABHÄNGIGEN Angehörigen-Gruppe zusammen und treffen Sie sich auf „neutralem“ Boden.
  2. Organisieren Sie sich in bestehenden Selbsthilfegruppen, -Initiativen und Vereinen (z.B. BIVA, Pflege-SHV etc.).
  3. Wenden Sie sich an die lokale Seniorenvertretung und/oder an die Sozialverbände sowie die Verbraucherzentrale.
  4. Bei größeren Problemen wenden Sie sich an die zuständige Heimaufsichtsbehörde, an die für die pflegebedürftige Person zuständige Pflegekasse, bei Hygienemängeln an das Gesundheitsamt – und bei vermuteten Straftaten auch an die Polizei!

A.v.Stösser: Herr Leopold, Ihre Erfahrungen kann ich nur bestätigen. Gleiches rate ich auch betroffenen Angehörigen.   Eine unabhängige, engagierte Heimmitwirkung könnte sehr vieles abfangen. Ich denke, wir hätten in den Heimen insgesamt viel gesündere Bedingungen, wenn eine wirkliche Interessensvertretung der BewohnerInnen vorhanden wäre. Im Grunde müsste es in jeder Region eine Anlaufstelle für Angehörige geben. Am besten besetzt mit ehemaligen Angehörigen, wie Sie, die den Heimalltag und die Problematiken kennen und zudem in der Lage sind, lösungsorientiert vor zugehen.

 

1 Kommentar

  1. Habe ihren Artikel gelesen und sehe das ebenfalls so.
    Als ehemalige Angehörige habe ich sehr viel Erfahrung mit Demenz, da mein Mann 20 Jahre daran erkrankt war. Auch ich hätte mir seinerzeit Hilfe gewünscht,da ich mit der Situation oftmals überfordert war. Leider gab es da wenig hilfreiches.

    Gerne würde ich diese Erfahrung im Raum wuppertal weitergeben. Aber die Erfahrung habe ich oftmals gemacht, das die Leute wenig interessiert sind.

    MfG
    Ursula Winterberg-Obermeyer

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