Notruf an alle Verantwortungsträger

Foto: Stefan Leupold, Pixelio

Ausgehend von folgendem Szenario, wie es sich bei den bundesweit üblichen Nachtdienstbesetzungen, ähnlich jede Nacht irgendwo zutragen könnte, wollen wir die Frage der Verantwortung stellen:

Altenpflegeheim, 90 Plätze, drei Etagen. Im Nachtdienst, eine erfahrene Pflegefachkraft (48 Jahre), Franziska genannt, und eine einjährig ausgebildete Pflegehelferin (35 Jahre), Heike genannt, die erst seit kurzem Nachtdienst macht. Die beiden haben bereits zweimal im Nachtdienst zusammengearbeitet. Für Heike ist es die erste Nacht nach einer längeren Pause; allerdings kennt sie einige Bewohner noch aus ihrer Zeit im Tagdienst. Beide einigen sich darauf, dass Heike schwerpunktmäßig die Bewohner der dritte Etage sowie im hinteren Flur der zweiten Etage betreut. Nach der Übergabe, die zentral erfolgt, erklärt Franziska ihrer Kollegin kurz, worauf sie besonders achten soll, und dass sie bei Fragen jeder Zeit anrufen könne. Beide sind ausgerüstet mit einem Mobilteil (Handy) der Hausraufanlage, auf dem u.a. ersehen werden kann, in welchen Zimmern es klingelt.
Gegen 22.00 Uhr klingelt der Bewohner Herr Heinz, ein erst vor kurzem eingezogener, 73 jähriger Mann, der ein Einzelzimmer im 3. Stock bewohnt und seit einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt. Herr Heinz gilt als recht eigenwillig. Er möchte nicht bereits vor 20.00 Uhr vom Spätdienst ins Bett gebracht werden. Außerdem ist Herr Heinz mit 1,90 Körpergröße und 95 kg, bei Halbseitenlähmung, von einer Person kaum zu mobilisieren. Heike, die gerade auf der zweiten Etage unterwegs ist, lässt alles stehen und liegen und begibt sich umgehend in den 3 Stock. Herrn Heinz bittet sie, zu Bett gebracht zu werden, aber vorher noch zur Toilette, Zähneputzen etc. „Das schaffe ich nicht alleine“, erklärt die zierliche Heike, zieht das Handy aus der Tasche und ruft ihre Kollegin. Franziska ist jedoch gerade dabei eine Bewohnerin auf der ersten Etage sauber zu machen, müsse außerdem noch rasch nach einer Bewohnerin sehen, die über Luftnot klagte. Sie bittet Herrn Heinz noch etwa eine halbe Stunde zu vertrösten, dann würde sie kommen. Um 22.30 Uhr klingelt der Bewohner erneut, dieses Mal sichtlich verärgert, weil er erstens dringend zur Toilette müsse und zweitens keine Minute länger mehr sitzen könne. Seine Beine seien eiskalt. Der Rücken schmerze, er müsse sich jetzt unbedingt hinlegen. Erneut ruft Heike ihre Kollegin an. Franziska ist jedoch inzwischen mit einem Notfall konfrontiert. Frau Groß, die Bewohnerin mit Luftnot, hat mitlerweile einen schweren Asthmaanfall. Sie hatte auch vorher schon zwei Mal geklingelt, in ihrem Bett gesessen und nach Luft gerungen. Ihr Asthmaspray half offenbar nicht. Franziska wusste aus Erfahrung, dass diese Frau, wenn man sich ein paar Minuten zu ihr setzt, gut zu beruhigen war. Doch diese Ruhe hatte sie in dem Moment nicht. Sie dachte an all die Arbeiten die noch nicht erledigt waren, und die sie auch nicht an jemanden abgeben konnte. Nun war sie gezwungen sich Zeit für Frau Groß zu nehmen, die zu ersticken drohte. Einen so schweren Anfall hatte Franziska bei ihr noch nicht erlebt. Sie überlegte sogar den Notarzt zu rufen. Derweil leuchteten vier weitere Rufzeichen. Erneut vertröstete Heike den Herrn Heinz und machte sich auf den Weg zu den anderen Bewohnern, die teilweise auch schon länger auf Hilfe warteten. Als sie gegen 23.15 Uhr das Zimmer des Herrn Heinz betrat, lag dieser auf dem Boden neben der Toilette. Er hatte es alleine versucht. Jetzt war auch hier ein Notfall entstanden, der hätte vermieden werden können. Beim Versuch ihn aufzuheben, schrie er vor Schmerzen in der rechten Schulter und Arm. Den beiden Frauen im Nachtdienst war es kräftemäßig unmöglich, diesen Mann aus dem engen Sanitärraum (WC/Dusche) zu zerren. Also riefen sie den Rettungsdienst. Wegen der starken Schmerzen in der Schulter, hätte er ohnehin am nächsten Morgen ins Krankenhaus zum Röntgen gemusst. Jedoch waren die Brüche und Prellungen, die der Bewohner in dieser Nacht im Heim erlitten hat, dass wohl kleinere Übel. Sein Selbstvertrauen war gebrochen. Er wollte nicht mehr leben. Nicht unter diesen Bedingungen.

Wer trägt in solch einem Falle von Körperverletzung die Verantwortung?

Die beiden Mitarbeiterinnen im Nachtdienst?

Fangen wir beim letzten Glied in der Verantwortungskette an, der Pflegehilfskraft. Welche Schuld an den Verletzungen des Bewohners trifft Heike? Grundsätzlich kann auch von  Pflegehilfskräften wie von jedem anderen Mitarbeiter erwartet werden, dass diese verantwortlich handeln und alles ihnen mögliche zum Schutz und Wohlergehen eines Pflegebedürftigen tun. Führt z.B. eine Helferin eine Maßnahme durch, obwohl sie dazu weder angeleitet noch beauftragt wurde, und kommt der Patient/Bewohner dabei zu Schaden, kann ihr das als Fahrlässigkeit ausgelegt werden.  Liegt jedoch eine Situation vor, in der sie auf sich alleine gestellt war und in Abwägung des Risikos diese Entscheidung getroffen hat, wird ihr höchstwahrscheinlich keine Schuld angelastet.   Heike hat sich völlig korrekt verhalten. Zu Recht schätzte sie das Risiko, Herrn Heinz alleine ins Bett zu bringen, für diesen, wie auch für sich selbst, als zu groß ein, weshalb sie ihre Vorgesetzte um Hilfe bat. Auch ihre Entscheidung, den Bewohner alleine warten zu lassen, um nach den anderen zu sehen, die geläutet hatten, kann nicht bemängelt werden. Denn eine akute Gefährdung des Herrn Heinz lag nicht vor und sie konnte auch nicht wissen, dass dieser selbst versuchen würde, aufzustehen. Etwas anderes wäre es, wenn sie sich, statt dem Bewohner Beistand zu leisten bis die Kollegin kommt, im Aufenthaltsraum vor den Fernseher gesetzt hätte.

Welche Schuld trifft die hauptverantwortliche Nachtwache? Als einzige Pflegefachkraft in diesem Nachtdienst trägt Franziska die Hauptverantwortung.   Sofern Herr Heinz oder sein gesetzlicher Vertreter, Klage gegen das Heim anstrebt, wird Franziska Rechenschaft ablegen müssen. Vor allem wird sie darlegen müssen, warum sie diesen Bewohner „zu lange“ warten gelassen hat. Die Bewohnerin vom 1.Stock, die sie vorgibt zu dem Zeitpunkt sauber gemacht zu haben, kann dazu nicht befragt werden. Und Frau Groß, dürfte auch nicht auf die Uhr geschaut haben um bestätigen zu können, von wann bis wann sie den Anfall hatte. Es ist unwahrscheinlich, dass derartige Ereignisse zeitnah dokumentiert werden können.  Auch Franziska hat sich zunächst völlig korrekt verhalten. Hätte sie die Bewohnerin, bei der sie gerade beschäftigt war, halbgewaschen in ihrem Kot und Urin liegen lassen sollen? Wohl kaum! Außerdem war Herrn Heinz zu diesem Zeitpunkt nicht akut gefährdet, höchstens verärgert und ungehalten. Ihre Entscheidung, sich anschließend um Frau Groß zu kümmern, dürfte wohl auch niemand in Frage stellen.
Dennoch kann und sollte man der hauptverantwortlichen Nachtwache die Frage stellen, warum sie keine Verstärkung angefordert hat. Es geht schließlich um Leben und Tod. Wenn es irgendwo brennt und der leitende Feuerwehrmann vor Ort sieht, dass er mit seinen Leuten überfordert ist, wird dieser als Erstes weitere Rettungsstellen zur Hilfe rufen. In der Pflege ist es hingegen unüblich in brenzligen Situationen die Pflegedienstleitung oder den Heimleiter aus dem Bett zu holen. Einzelne Einrichtungen haben eine Nachtbereitschaft, die im Bedarfsfalle hinzugezogen werden kann. In der Regel versuchen die Pflegekräfte jedoch alleine irgendwie alles zu stemmen. Würde die hauptverantwortliche Nachtwache in solchen Situationen regelmäßig Unterstützung von der Pflegedienstleitung oder Heimleitung anfordern, würden diese schon aus persönlichem Interesse mehr Personal einsetzen. Pflegefachkräfte, die bereit sind unter unverantwortlichen Bedingungen zu arbeiten, sollten im Streitfalle auch die rechtlichen Konsequenzen tragen. Denn wer aus Sorge um sein Ansehen bei den Kollegen oder der Heimleitung, keine Hilfe anfordert, verhält sich verantwortungslos gegenüber den Personen, die seinem Schutze anvertraut sind.

Die Pflegehelferin Heike schätzt die Situation richtig ein, indem sie Hilfe anfordert. Franziska hingegen setzt sowohl die Bewohnerin mit Asthma, als auch andere Bewohner einer Lebensgefahr aus, da sie es unterlässt, ihre Vorgesetzten über den Notfall zu informieren und Unterstützung anzufordern.  Ihr kann angelastet werden, ein zu hohes Risiko für die Bewohner einzugehen, weil es ihr wichtiger ist, von der Heim- und Pflegedienstleitung, als gute Nachtwache gesehen zu werden, die alles im Griff hat. Damit handelt sie in der vorliegenden Situation ebenso fahrlässig, wie Heike gehandelt hätte, hätte sich Herrn Heinz während des Transfers verletzt, bei dem sie ihn alleine nicht halten konnte. Beide hätten sich dabei schwer verletzen können.

Die Pflegedienstleitung ?

Grundsätzlich trägt diese die Hauptverantwortung für die Qualität im Pflegebereich der Einrichtung, einschließlich der Personalausstattung. Im Streitfalle wird sie erklären müssen, warum regulär nur 2 Nachtwachen für 90 Bewohner eingeplant werden und warum es keine Vorkehrungen für derartige Notfallsituationen gibt. Da sich die Gerichte bislang in der Regel mit der Angabe zufrieden geben, dass diese Nachtdienstbesetzung üblich ist und außerdem den gesetzlichen Vorschriften entspricht, wird die Pflegedienstleitung in solchen Fällen höchst selten zur Verantwortung gezogen.

Die Heimleitung, Geschäftsführung und der Heimbetreiber ?

Heimleitung und Heimbetreiber können sich ebenfalls damit rechtfertigen, die gesetzlichen Auflagen zu erfüllen: Laut Heimgesetz vorgeschrieben sei die Anwesenheit einer Pflegefachkraft. Auch bei der Pflegesatzverhandlung seien der Einrichtung nur 2 Nachtwachen bewilligt worden, weil andere Heime gleicher Größe mit dieser Besetzung im Nachtdienst auskommen. In einem aktuellen Fall erklärte der Geschäftsführer eine kritisierte Reduzierung der Nachtdienstes außerdem mit der Wettbewerbsfähigkeit. In den Jahren davor, wurden in dieser Einrichtung jeweils 4 NW für 149 Bewohner für notwendig erachtet. Nach Fertigstellung eines Anbaues und Erweiterung der Plätze sowie der Wege, die nachts von den Pflegekräften zurückgelegt werden müssen, wurde eine Stelle im Nachtdienst gestrichen. Eine langjährige Dauernachtwache, die das nicht mittragen wollte, hat sich daraufhin vom Arbeitgeber getrennt. Eine zweite Pflegefachkraft, die unter den früheren Bedingungen gerne im Nachtdienst gearbeitet hatte, lehnte die Verantwortung bei einer Besetzung mit nur 3 Pflegekräften für 155 Bewohner, ebenfalls ab. Woraufhin diese  in den Tagdienst versetzt wurde. Die übrigen 5 Mitarbeiter des Nachtdienstes hatten anfänglich zwar protestiert, später jedoch ihre Bereitschaft erklärt in der reduzierten Besetzung weiterhin im Nachtdienst zu arbeiten. Das hätten diese vermutlich nicht getan, wenn sie sich der rechtlichen Konsequenzen bewusst gewesen wären.

Eine Pflegefachkraft kann sowohl strafrechtlich als auch zivilrechtlich belangt werden, wenn während ihres Dienstes ein Patient/Bewohner einen Schaden erleidet. Bestenfalls können hier mildernde Umstände anerkannt werden. Die Heimleitung kann zwar ebenfalls mit zur Verantwortung gezogen werden. Sie hat jedoch eine stärkere Position, zumal wenn sie, wie in genanntem Falle, auf Pflegekräfte verweisen kann, die erklärt haben, dass sie die Nachtdienste mit der reduzierten Besetzung leisten können.

Bei unserer Podiumsveranstaltung in Berlin „Pflege klagt an, hat Annette Holthöfer, Krankenschwester (Erstberuf) und Rechtsanwältin, zu einer ähnlichen Situation Stellung bezogen.

A.v.Stösser: Frau Holthöfer, können Sie sich an konkrete Situationen erinnern, in denen Sie in Ihrer Laufbahn als Krankenschwester/ Pflegefachkraft anders reagiert hätten, wenn Sie die rechtlichen Möglichkeiten so gekannt hätten, wie Sie sie heute kennen?
Frau Holthöfer erläuterte dies an einer häufig vorkommende und schon fast alltäglichen Situation – eines krankheitsbedingten Personalmangels den man als Pflegekraft geneigt ist zu kompensieren. So habe auch sie sich zum Beispiel einiger Patienten/Bewohner erbarmt, die wegen Personalmangels ansonsten mehrere Tage nicht aus dem Bett gekommen wären, da es zum sicheren Transfer in den Rollstuhl zweier Personen bedurfte. Früher habe sie selbst bei Personen mit hohem Gewicht und unstabiler Körperhaltung in solchen Situationen versucht alleine klar zu kommen und nicht so sehr an das Risiko gedacht. Heute würde sie das nicht mehr tun, sondern darauf drängen, dass entweder ein Kollege oder die Pflegedienstleitung oder die Heimleitung persönlich kommt, um die notwendige Hilfestellung zu geben. Wenn das nicht möglich ist, müsse man korrekterweise z.B. dokumentieren: Frau X konnte nicht aus dem Bett geholt werden, da mir die für den sicheren Transfer erforderliche zweite Person von der Pflegedienstleitung nicht zur Verfügung gestellt werden konnte. Wörtlich: „Als Krankenschwester oder Altenpflegerin geht man diese Risiken zumeist aus „edlen Motiven“ ein, um dem Patienten/ Bewohner etwas Gutes ( hier die Mobilisation ) zu tun. Auf Grund meiner juristischen Ausbildung ist mir sehr deutlich geworden, dass ich durch mein riskantes Verhalten (auch wenn ich es „ gut „ gemeint hatte) strafrechtlich zur Täterin einer fahrlässigen Körperverletzung bzw. im schlimmsten Fall einer fahrlässige Tötung werde, falls die Patientin /Bewohnerin stürzt, weil ich sie nicht mehr entsprechend halten kann. Ebenfalls kann ich zivilrechtlich wegen der Nachbehandlungskosten (neben dem Arbeitgeber/ der Heimleitung ) zu nicht unbeträchtlichen Schadensersatz- und Schmerzensgeldzahlungen verurteilt werden. Angesichts dieser Konsequenzen würde ich auch gerade in Zeiten von Personalmangel und Arbeitsdruck immer genau überlegen, welche pflegerische Tätigkeit ich voll verantworten kann, weil sie nach den gewöhnlichen Umständen für den Patienten/Bewohner so sorgfältig von mir durchgeführt werden kann, dass keine voraussehbare Gefahrenlage für den Patienten geschaffen wird. Dies bedeutet in der Praxis, dass ich entweder die in einem anderem Zimmer tätige Kollegin hinzugezogen hätte und falls dies aus Zeitgründen nicht möglich gewesen wäre, die Patientin / Bewohnerin nicht aus dem Bett mobilisiert hätte, um weder sie noch mich zu gefährden.

A.v.Stösser: Pflegemitarbeiter müssen zwei Herren dienen, Sie haben sowohl Pflichten gegenüber ihrem Arbeitgeber als auch gegenüber den Patienten/Bewohnern. Dabei kommt es leicht zu Situationen, in denen der Mitarbeiter hin und her gerissen ist. Angenommen, Sie kommen zum Nachtdienst und stellen fest, dass Sie heute wohl ganz alleine sehen müssen, wie Sie klar kommen. Die zweite Kraft hat sich kurzfristig krank gemeldet und ein Ersatz kann so schnell nicht besorgt werden. Da zwei Personen im Grunde schon zu wenig sind, um eine sichere und bewohnergerechte Betreuung in der Nacht gewährleisten zu können, ist Ihnen klar, dass Sie das alleine unmöglich schaffen können. Was machen Sie?
Eine schwierige Frage, dies musste auch Frau Holthöfer zugeben. Ihr erster Gedanke dabei war, die Pflegedienstleitung anzurufen und zu bitten entweder selbst zum Nachtdienst anzutreten oder möglichst rasch dafür zu sorgen, dass eine zweite Kraft gefunden wird. Wichtig hier auch, dass dieser Vorgang dokumentiert wird. Schließlich ist es nicht Aufgabe der Pflegemitarbeiter für eine ausreichende Besetzung zu sorgen, sondern dafür ist die Pflegedienstleitung zuständig und wenn sie so kurzfristig keinen findet, muss sie selbst kommen. Sollte dies alles nicht möglich sein und sie tatsächlich alleine den Nachtdienst bestreiten müssen, bliebe ihr nichts anderes übrig, als klare Prioritäten zu setzen im Sinne von: Welche Aufgaben haben Vorrang? Welche kann ich unter Beachtung meiner Sorgfaltspflichten zunächst vernachlässigen? Vorrang haben z.B. zeitgebundene Medikamente, Infusionen, Kontrollen, Lagerungen die notwendige Inkontinenzversorgung sowie der Patientenruf (auf die Klingel gehen). „Wichtig ist, dass ich mir in dieser Situation als Pflegekraft meine Pflichten ganz konkret verdeutliche und soweit der Arbeitgeber nicht doch noch eine Pflegekraft stellen kann, vorrangig die Pflegeleistungen verrichte, die für den Patienten im Hinblick auf die Vermeidung einer Gefährdung von Leib und Leben dringend erforderlich sind und die auch von mir ohne Herbeiführung einer Gefahrenlage sorgfältig durchgeführt werden können. Wegen Zeitmangels nicht durchführbare grundpflegerische Maßnahmen, wie z. B. das Waschen des Patienten (hier ist der Tagdienst gemeint) würden dann nicht durchgeführt, diese unterlassenden Pflegemaßnahmen werden jedoch nicht nur in der Übergabe, sondern auch in der Dokumentation beschrieben, da auch der Patient/Bewohner einen Anspruch darauf hat, dass festgehalten wird, welche täglich pflegerisch durchzuführenden Maßnahmen, wegen der personellen Mangelsituation unterblieben sind. Des weiteren sollte auch eine Mitteilung (schriftlich) an den Arbeitgeber hinsichtlich der personellen Engpässe und darauf beruhender Nichtdurchführbarkeit bestimmter pflegerischer Maßnahmen erfolgen, da er nur so die Möglichkeit erhält, zukünftig schneller Abhilfe zu schaffen.

A.v.Stösser: Welchen Wert haben denn in solchen Fällen Überlastungsanzeigen?
Frau Holthöfer erläuterte hier, dass es grundsätzlich wichtig ist und auch zu den Pflichten eines Arbeitnehmers (Pflegekraft) gehört, den Arbeitgeber schriftlich auf Missstände und Mängel in der Einrichtung aufmerksam zu machen, da er nur so Kenntnis davon erhält. Ob man diesen Bericht „Überlastungsanzeige“ oder “Bericht zur aktuellen Pflegesituation“ oder ähnlich nennt, kann letztendlich dahin stehen. Es bleibt jedoch festzustellen, dass im konkreten Haftungsfall, nämlich dann, wenn in Zeiten von Personalmangel eine Pflegekraft konkret sorgfaltswidrig pflegt (siehe o.g. Beispiel) und es daraufhin zu Gesundheitsschädigungen des Patienten / Bewohners kommt, eine vorangegangene, so genannte Überlastungsanzeige nicht die Pflegekraft von der persönlichen Verantwortung / Haftung befreit. Man könnte im Umkehrschluss sogar sagen, dass wer vorher schon weiß, dass er als Pflegekraft unter Personal-Mangelbedingungen pflegen muss, besondere Vorsicht walten lassen müsste, um niemanden zu gefährden. Die schriftliche „ Überlastungsanzeige “ schützt im Schadensfalle den Verursacher vor Strafe nicht, sie ist jedoch ein wichtiges Instrument zur Verdeutlichung von Personal- und Pflegemangelsituationen gegenüber dem Arbeitgeber und sollte deshalb auch im Interesse des Arbeitgebers erfolgen, da nur so Missstände abgebaut werden können.

Die Heimaufsicht ?

Seit der Förderalismusreform 2007 gibt es nicht mehr „die Heimaufsicht“, vielmehr wurde das Ordnungsrecht in die Verantwortung der Bundesländer gestellt. Mit einer Ausnahme hat inzwischen jedes Bundesland seine eigene Aufsichtsregelung und Namensgebung. Eine gute Übersicht finden Sie auf der Seite der BIVA. Um keine Verwirrung zu stiften, nennen wir diese Prüfbehörden im weiteren „Heimaufsicht“. Die länderspezifischen Regelungen unterscheiden sich nur unwesentlich. Nach wie vor kommt diese Aufsichtsbehörde als „zahnloser Tiger“ daher, der sich auf Bestimmungen der Bauverordnung und andere Formalien konzentriert. In keinem einzigen Fall, den wir der Heimaufsicht gemeldet haben, sah diese eine Veranlassung einzugreifen. Von Angehörigen und Pflegekräften, die sich mit Beschwerden an die Heimaufsicht wenden hören wir Gleiches. Wer sich als Angehöriger oder Mitarbeiter an die Heimaufsicht wendet, auch wenn das anonym geschieht, muss mit Sanktionen seitens der Einrichtung rechnen. Angehörige erhalten Hausverbot. Mitarbeiter werden gemoppt oder unter einem Vorwand gekündigt. Ein Hauptgrund für die Beschwerden, ist mangelhafte Personalbesetzung mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Qualität der Pflege.

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) ?

Neben der „Heimaufsicht“ hat der Gesetzgeber den MDK mit Aufgaben der Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung in stationären Einrichtungen beauftragt. Die Prüfungen des MDK konzentrieren sich vor allem auf die pflegerische und medizinische Versorgung. Im vorliegenden Falle würde der MDK genau so wenig ausrichten, wie die Heimaufsicht. Beide stellen fest, dass die vorgeschriebene Personalausstattung im Nachtdienst eingehalten wird. Beide lassen sich von Pflegedienst- und Heimleitung erklären, dass diese Besetzung von den Mitarbeitern und Bewohnern als ausreichend erfahren wird. Eine Überprüfung dieser Angaben findet im Allgemeinen nicht statt.

Hinzu kommt, dass die Einrichtung jährlich einmal von Mitarbeitern des MDK begutachtet wird. Da nur wenige Heime eine besserer Nachtdienstbesetzung haben und sogar Einrichtungen mit nur 2 Nachtwachen für über 100 Bewohner, diese Prüfung mit der Note „sehr gut“ bestehen, was will der MDK da noch kritisieren? Besser als „sehr gut“ geht nicht.

Nachts lässt sich kein Prüfer in einem Pflegeheim sehen. Eine leitende MDK Mitarbeiterin gab gegenüber Herrn Fussek sinngemäß zu verstehen, was sie davon abhält: „Wenn ich nachts in einem Heim kontrollieren müsste, würde ich mich verantwortlich fühlen mitzuhelfen. Denn wenn ich als Fachfrau Zeuge werde und sehe, dass weit und breit keiner da ist, um zu einem rufenden Patienten zu gehen, darf ich nicht sitzen bleiben und in der Dokumentation blättern. Das wäre unterlassene Hilfeleistung.“

Die Landräte oder Bürgermeister ?

Wer sich mit Beschwerden über unhaltbare Zustände in einem bestimmten Heim, an den betreffenden Landkreis oder Bürgermeister wendet, erfährt wie das kommunale Netzwerk funktioniert. Vor allem dort wo die Heimaufsicht direkt dem Bürgermeister untersteht, kann dieser sicher sein, dass die angezeigten Mängel bei den Überprüfungen nicht gefunden oder verschwiegen werden. Kommunalpolitiker haben jedoch nicht nur den guten Ruf im Blick, sondern mehr noch die Kosten. Sie sind im Grunde diejenigen, die am stärksten auf der Personalbremse stehen (müssen), angesichts der wachsenden Zahl von Heimbewohnern, die auf Beihilfe durch das Sozialamt angewiesen sind. Die Heimplätze sind jetzt schon sehr teuer, heiß es überall. Mehr Personal bedeutet steigende Pflegesätze und höhere Belastung der Sozialkasse. Bei den Pflegesatzverhandlungen sitzt jeweils ein Vertreter der Sozialbehörde, der darauf achtet, dass die Pflegesätze niedrig bleiben.
Aber können die Kosten eine Entschuldigung dafür sein, dass Risiko-Situationen wie die oben beschriebene, in Kauf genommen werden? Für alles und jedes gibt es Sicherheitsbestimmungen. Sind beispielsweise in einem Heim die Haltegriffe in den Fluren nicht nach Vorschrift angebracht, oder werden andere Sicherheitsstandards der Heimbauverordnung nicht eingehalten, besteht die „Heimaufsicht“ auf Nachbesserung. Die weitaus größeren Risiken, denen Heimbewohner ausgesetzt sind, weil am Personal gespart wird, spielen keine Rolle.

Die Sozialministerin, der Sozialminister des betreffenden Bundeslandes?

Bislang wurden diese noch in keinem einzigen Falle, eines öffentlich gewordenen Pflegeskandals belangt oder in die Pflicht genommen.   Vor der Presse bekundet die jeweilige Ministerin, der Minister regelmäßig großes Bedauern. Im nächsten Satz wird dann beteuert, dass es sich um einen Einzelfall handelt. Insgesamt sei die Pflege in Deutschland, in Bayern, RLP, NRW etc. vorbildlich. Im Übrigen würden die Personalschlüssel von den Leistungsanbietern als ausreichend angegeben. Außerdem müsse man als PolitikerIn auch immer an die Bürger denken, die die Mehrkosten zu zahlen haben. Wer mehr Pflegepersonal in die Heime und Krankenhäuser fordert, muss auch erklären, woher man dieses Nehmen und wie man es bezahlen will.

Der Gesundheitsminister?

Im juristischen Sinne kann dieser für Schäden, die durch Personalmangel entstehen, nicht belangt werden. Auch hat es noch nie eine Rücktrittsforderung nach Berichten über Pflegeskandale mit Todesfolge gegeben. Warum eigentlich nicht? Andere Minister mussten schon wegen viel weniger zurücktreten. Es wäre interessant zu ermitteln, wie viele Menschen in Pflegeheimen und Krankenhäusern zu schaden kommen und versterben, weil das Personal nicht reicht um ihnen zu helfen.

1 Kommentar

  1. Die Haftungsfrage hat für jeden Beteiligten nur dann Priorität, wenn er mit diesen – Nacht für Nacht vorkommenden – mal mehr und mal weniger gefährlichen Situationen über einen längeren Zeitraum konfrontiert wird. PERSÖNLICH UND DIREKT! Das heißt, wenn diese Menschen über Wochen/Monate direkt Nachtdienst leisten müssten, um zu erkennen, dass die angemahnte Personalsituation DRINGEND und ZEITNAH einer Änderung bedarf um Situationen die absolut vermeidbar sind auf ein erträgliches und auch vertretbares Minimum zu reduzieren.
    Dafür sollte für JEDEN MENSCHEN der auf dem Pflegesektor in einer leitenden Position (ob Pflegedienstleiter, Heimleiter, Lehrkräfte, Krankenkassen-Leitungen UND Politiker etc…..) VOR Antritt bzw. der Absolvierung einer diesbezüglichen Ausbildung ein Praktikum in einem Alten-/Pflegeheim oder Krankenhaus über 3 Monate Tagdienst UND 3 Monate Nachtdienst ZUR ABSOLUTEN PFLICHT gehören!
    Dann, und nur dann, wird sich – sofern es sich um realistisch veranlagte Menschen handelt – auf dem Pflegesektor in Punkto Personalpolitik etwas ändern.

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