Geschichten der Nacht

Nachtwachen erzählen von Erlebnissen in der Nacht, die sie in besonderer Weise beschäftigt haben.  Die Namen der Nachtwachen wie der Bewohner wurden reaktionell geändert.

Wenn  Herr Nagel klingelte, mussten wir alles stehen und liegen gelassen.
Herr Nagel hält sich für den wichtigsten Bewohner und hat kein Verständnis dafür, dass die beiden Nachtwachen für 84 Bewohner in zwei Häusern zuständig sind. Ja, er glaubt dies nicht einmal und meint tatsächlich, wir würden darauf warten, dass er nach uns klingelt.   Lesen Sie hier die  Nachtdiensterfahrung_mit Herrn Nagel

Frau Jonas und ihre 45 minütige „Zermonie des Zu-Bett-gehens“
Auch Frau Jonas ließ sich nicht zur Eile treiben. Geistig wach und Selbstbestimmt wie diese langjährige, hochbetagte Bewohnerin war, forderte sie all abendlich ihr Recht auf eine individuelle Begleitung.  Der Nachtwache, die ihr beim Zubettgehen half, blieb nichts anderes übrig, als sich die Zeit zu nehmen, auch wenn andere deshalb warten mussten. Tatsächlich ist dies ein guten Beispiel für die Eigenschaften die es braucht, um als Bewohner im Pflegeheim auch Nachts zu seinem Recht zu kommen.  Schließlich versprechen alle Heime, individuelle Hilfe.  Nachtdiensterfahrung-mit-frau-jonas

Zum Glück verfügen viele Pflegekräfte über einen 7. Sinn
Es ist in unserem Haus üblich, Bewohner als Gast, oft nur für kurze Zeit, aufzunehmen. Eine solche Gastbewohnerin klagte in meiner Nachtwache über Luftnot. Sie hätte das öfters und habe ein Mittel dabei.  Das Mittel brachte die Frau über die Nacht, so dass ich keinen Notartz rufen musste.  Ich sah diese Frau an dem Abend das erste Mal. Eine Akte war bei ihr nicht angelegt worden, weil die Diensthabende im Tagdienst keine Zeit hatte und auch nicht wusste, was bei Gastbewohnern zu dokumentieren ist.   Der Stress war also auch am Tage wieder einmal so groß gewesen, dass bezüglich dieses Gastes einiges „schief“ gelaufen war. In der Übergabe war sie nur nebenbei und nicht als problematisch erwähnt worden.  Am Morgen berichtete ich von der „mysteriösen“  Luftnot der Bewohnerin.  Da sich diese auch tagsüber wieder zeigte, veranlasste eine  Kollegin ihre Klinikeinweisung.  Als habe sie es geahnt, denn in der kommenden Nacht war im Haus der Computer ausgefallen.  Wenn ich dann für diese Frau einen Notartzt hätte rufen müssen, hätte ich außer ihrem Namen nicht die geringste Angabe machen können.  Wir wussten nichts, überhaupt nichts von dieser Frau.  Ohne 7. Sinn wären wir doch alle in diesem Job aufgeschmissen.

Keine Zeit für kleine Gefälligkeiten
Mir tut Frau Schade leid, die sich bei meinen Rundgängen  am Abend nichts weiter wünschte, als dass ich mich ein wenig zu ihr setze und vielleicht ein Gläschen Wein/Wasser mit ihr trinke.  Eine Bitte die ihr aus Zeitgründen keine Nachtwache in unserem Haus bis heute erfüllen konnte. Diese Bewohnerin hatte nicht das Naturell einer Frau Jonas, die ihr Ritual einforderte. Sie gehört zu der Mehrzahl von alten Menschen, die niemandem zur Last fallen wollen und sofort Verständnis zeigen, wenn man ihnen erklärt, keine Zeit zu haben.  Trotzdem verfolgen mich manchmal die  traurigen Blicke gerade dieser Bewohner.

Alkoholkranke jüngere Bewohnerin blieb auf der Strecke
Menschen mit Suchtproblemen und besonderem Zuwendungsbedarf in Krisensituaiton sind in Pflegeheimen völlig fehlplatziert.  Frau Hahn war eine solche Bewohnerin, ungefähr in meinem Alter.    Oft saß sie bei den Rundgängen niedergeschlagen auf ihrem Bett und erklärte, nicht schlafen zu können.  Sie hätte dringend eine therapeutische Begleitung gebraucht oder wenigstens einen Menschen, der sich in solchen Momenten ein Paar Minuten zu ihr setzte.  Als Fachfrau weiß ich natürlich auch, dass es stumme Hilfeschreie gibt, sah mich jedoch außer Stande darauf angemessen zu reagieren.   Diese Bewohnerin hat sich bald schon aus dem Leben zurückgezogen.  Sie starb zum Glück nicht in meiner Nacht.

Erstaunliches Erinnerungsvermögen bei einer angeblich völlig dementen Bewohnerin
„Vor Jahren hatte ich im Kreis meiner Schutzbefohlenen im Dauernachtdienst eine Bewohnerin, von der jeder behauptete, sie würde sich an gar nichts mehr erinneren und sei völlig desorientiert.   Sie liebte es, einfach einmal in den Arm genommen zu werden  und einige Minuten bei ihr zu sitzen. Sie genoss eben kleine Aufmerksamkeiten in vollen Zügen, wie alle anderen Bewohner auch.  Als ich nach einem dreiwöchigen Urlaub den Dienst wieder begann und mich auf dem Flur mit einer Kollegin unterhielt, lief Frau X im hinteren Teil des Wohnbereiches auf dem Flur herum. Mit einem Mal fing sie an mit Schnelligkeit in meine Richtung zu laufen, schloss  mich  in die Arme und sagte: „Du bist wieder da, du warst lange weg!“  Ich war im Moment überwältigt, hörte ich doch immer wieder, dass genau diese Bewohnerin völlig dement sei.  Ich schloss meine Arme um sie und fragte: „Frau X, ja kennen Sie mich denn noch?“  Sie antwortete: „Ich habe deine Stimme gehört, da wusste ich, dass du endlich wieder da bist!“  Reaktionen dieser Art sind nicht ungewöhnlich.  Wer sich Zeit für einen Demenzkranken nimmt und diesen auf Augenhöhe begegnet, begegnet regelmäßig Menschen, die ganz normal reagieren.   (Dieses Beispiel stammt von der Nachtwache, die die Reduzierung der Nachtdiensbesetzung im BRK-Heim unverantwortlich findet und entsprechende Konsequenzen gezogen hat. )

 


 

 

Wenn auch Sie interessante Beispiele aus den Nachdiensten haben, stellen wir diese gerne hier ein.

 

 

1 Kommentar

  1. Ich denke, mit 23 an eine aktive Gestaltung seines Alters zu denken, ist möglicherweise noch zu abstrakt. Da liegen noch andere Dinge vor einem. Was der Selbstversuch und vor allem das Berichten darüber aber transportiert, ist ein anderer Blick auf alte Menschen in dieser Situation. Mehr Verständnis, Einfühlung und auch mehr Zeit für alte Menschen zu haben, zumindest für die in der eigenen Umgebung. Vielleicht wird ein soziales Engagement geweckt, hier etwas Zeit zu investieren, etwas Abwechslung in den Alltag der alten Menschen zu bringen. Und daran zu denken, dass diese nicht nur dankbar sein “müssen” für die Führsorge, sondern auch Verständnis für Ängste und Unwohlsein erwarten können. Allein das ist ein großer Schritt nach vorn.

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